Tschechow-Theater auf neuen Wegen

Ingo Knechtel

Sicher ist es nicht leicht, in einem Problemkietz Menschen ins Theater zu bringen. Und zum Glück zählen auch kulturelle Vorhaben wie die Theaterarbeit im weitesten Sinne in dieser Stadt schon seit geraumer Zeit zu den Grundsäulen erfolgreicher Stadtentwicklungspolitik. Sie sind auch ein nicht zu unterschätzender Beitrag zu einer Integrationspolitik, die ihren Namen verdient. Berlin lässt sich solch ein Engagement auch etwas kosten, ist bereit, Fördergelder und EU-Mittel zu investieren. Dies ist eine gute Grundlage, das Tagesgeschäft indes bleibt mühevoll. Soziale Arbeit und Integration haben sehr viel mit Menschen in den verschiedensten Problemlagen zu tun. Der kulturelle Ansatz, gerade auch diese Menschen zu erreichen, Familien – und vor allem Kindern – durch Kultur das Leben zu bereichern, steht im Mittelpunkt der kollektiven Bemühungen aller beteiligten Akteure.

Im Berliner Stadtteil Marzahn NordWest wurde aus gutem Grund im Sommer 2002 das deutsch-russische Tschechow-Theater gegründet. Zweisprachige Aufführungen sollten nicht nur Hemmschwellen zahlreicher kulturinteressierter Zuwanderer überwinden helfen, sondern auch neue und interessante Aspekte in den Inszenierungen aufdecken. In all den Jahren seit seiner Gründung ist das Tschechow-Theater diesem Grundanliegen treu geblieben. Aber es hat sich auch enorm weiterentwickelt. Das spiegelt sich nicht unbedingt an den Besucherzahlen wider. Sie sind nicht schlecht, um hier keinen falschen Eindruck zu erwecken. Aber dies ist ein Theater von der Größe eines Zimmertheaters. Und dessen Kapazitäten sind begrenzt.

Wo aber nun haben sich „neue Wege“ ergeben, was macht den Erfolg des Theaters aus? Ganz sicher ist ein Aspekt, dass die Einrichtung bestens vernetzt ist im Kietz. Seine Türen sind offen für die verschiedensten Gäste und Veranstaltungen, auch solche, die nicht vordergründig mit Theater zu tun haben. Senioren sind hier zum Tanz genauso gern gesehen wie Kinder zum Basteln.Und das zweite Geheimnis des Erfolgs ist die theaterpädagogische Arbeit, die gemeinsam mit den Schulen im Stadtteil geleistet wird. Fast jedes Jahr haben verschiedene Gruppen an Wettbewerben teilgenommen, haben Preise gewonnen, z.B. mit Aufführungen zu brandaktuellen Themen über Jugendgewalt und Cybermobbing. In dem Stück „Hinter die Linie zurück“ entwickelten Schüler gemeinsam mit straffällig gewordenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Täter-potenzielle-Opfer-Situation und stellten diese theatralisch dar. Mit der Inszenierung nahmen sie am 12. Deutschen Präventionstag in Wiesbaden teil. Immer wieder gab es ähnliche Gemeinschaftsprojekte, durch die Leiterin des Tschechow-Theaters Dr. Alena Gawron und den Theaterpädagogen Sven Zankl realisiert, natürlich stets mit Hilfe der Pädagogen verschiedener Schulen, z.B. der Johann-Julius-Hecker-Oberschule, und vor allem der zuerst oft zögerlichen, dann zumeist enthusiastischen Jugendlichen. Die Aufführungen selbst hätten gar nicht im Tschechow-Theater stattfinden können. Hier waren stets größere Räumlichkeiten nötig, um den oft vielen Hundert Zuschauern Platz zu bieten.

Jüngstes Beispiel in diesem Jahr ist das Theaterprojekt „I have a dream“. Wohl jeder denkt bei diesen Worten an die berühmte Rede Martin Luther Kings 1963. Träume und Wünsche für die Zukunft bewegen aber auch Jugendliche heute. Ein schnelles Auto, Superkräfte oder Weltfrieden? Schönheit, Reichtum, beruflicher Erfolg oder eine glückliche Familie? Was davon ist realistisch, muss immer alles realistisch sein? Damit sollten sich die jungen Leute kreativ auseinandersetzen. Dabei entwickelten sie über theatrale Improvisationsarbeit eine humorvolle Spielhandlung und gestalteten sie mit kreativen Ausdrucksmitteln.

Liest man solche Nachrichten, oder besser noch, sieht man solche Theaterstücke selbst, werden die relativ trocken einherkommenden Senatsprogramme, wie die Soziale Stadt, plötzlich lebendig. Und der Zuschauer weiß, ebenso wie der Teilnehmende, das ist richtig und gut ausgegebenes Fördergeld.

Und auch wenn es immer wieder ein neues Kämpfen ums Geld geben wird, die Bewohner in Marzahn NordWest stehen genauso hinter ihrem Theater wie die Quartiersmanager. Gelder für 2015 wurden zum Glück bereits bewilligt, so dass die Planungen derzeit im vollen Gange sind. Und es gab dieser Tage eine weitere gute Nachricht: es sollen für den Kietz Gelder aus dem Quartiersfonds bis 2020 fließen. An neuen Ideen, wie der Stadtteil die nach wie vor großen Probleme bewältaigen kann, mangelt es den Akteuren, auch dem Kulturring, nicht. Das Tschechow-Theater wird dabei weiter eine große Rolle spielen und sicher den einen oder anderen neuen Weg beschreiten. Das ist ja auch in den vergangenen Jahren immer wieder überzeugend gelungen.

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