Jubiläen am Fließband

Michael Laschke

Selten hat eine Kultur- und Sporteinrichtung Gelegenheit, in einem Jahr drei Jubiläen zu feiern und sich auf zwei weitere im kommenden Kalenderjahr zu freuen. „Jubiläen am Fließband“ ist eine passende Kennzeichnung für einen solchen Marathonlauf. Die Pferderennbahn in Karlshorst absolviert ihn in diesem und im nächsten Jahr. Den Start bildete eine Veranstaltung im April 2014 zum 10. Jahrestag der Gründung des Pferdesportparks Berlin-Karlshorst e.V., der sich Erhalt und Belebung des Pferdesports in Karlshorst zum Ziel setzt. Es folgte am 9. Mai 2014 der 120. Jahrestag der Eröffnung der Hindernisrennbahn mit einem Jubiläumsrenntag und der Erinnerung an Lucas Andreas Staudinger, mit 1044 Ritten und 144 Siegen einer der bedeutendsten Amateurreiter zwischen 1919 und 1939 in Deutschland und Einwohner von Karlshorst. Das dritte Jubiläum erinnert an den Beginn des Pferdesports in der Region Karlshorst im Jahre 1854. Im Jahr 2015 können der 70. Jahrestag der Eröffnung der Trabrennbahn (1. Juli 1945) und der 90. Jahrestag der Enthüllung des Reiterdenkmals auf der Rennbahn (23. September 1925) begangen werden. Jede Überhöhung dieser Ereignisse verbietet sich, doch der große Rahmen des Jahres 2015 – der 70. Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkrieges – könnte Anlass sein, auch Regionalgeschichtliches vertieft zu betrachten.

Vor 160 Jahren, am 22. Juni 1854, fand das erste Jagdrennen für Herrenreiter auf der Friedrichsfelder Feldmark, dem Besitz derer von Treskow, statt. Das erste öffentliche Pferderennen dieser Art in der Berliner Region hatte es bereits am 17. Juni 1829 auf dem Tempelhofer Feld gegeben. Die Jagdrennen als Querfeldeinrennen mit einer Distanz von 3.000 m bis 7.200 m über natürliche und künstliche Hindernisse (Hecken, Wälle, Gräben) fanden ursprünglich im Juni an wechselnden Orten statt. Für diese Rennen war es schwierig, geeignetes Gelände in den Dörfern zu finden, denn die Feldsaaten waren in der Mitte des Jahres fast erntereif. Doch in Blankenburg, Blankenfelde, Steglitz und Lankwitz, auch in Charlottenburg und eben in Friedrichsfelde fanden sich Grundbesitzer, die dafür Flächen zur Verfügung stellten. In Friedrichsfelde lag das Areal für diese Veranstaltungen zwischen dem alten Vorwerk, der Waldowallee, der Köpenicker Allee und der Rohrlake. Für das erste Rennen von 1854 hatte Herr v. Treskow dieses Terrain „mit größter Bereitwilligkeit" überlassen, sicherlich, weil er sich Nutzen für seine eigene Pferdezucht versprach.

Die auf dem Treskow’schen Gelände zwischen 1854 und 1867 insgesamt 13 absolvierten Rennen wurden überaus populär. Jeder Herrenreiter, der etwas auf sich hielt, versuchte, zum Wettkampf zu erscheinen. Dennoch wären diese Rennen sicherlich vollständig der Vergessenheit anheim gefallen, wenn nicht aus ihnen der bedeutendste Wettbewerb für Offiziersreiter – das Große Preußische Armee-Jagdrennen – kurz „die Armee“ – herausgewachsen wäre. Zum ersten Mal fand dieses Rennen in Karlshorst unter dem Namen Armee-Steeple-Chase 1862 statt, weitere Rennen 1863, 1865 und 1867. Im Jahre 1868 erfolgte der Umzug der „Armee“ nach Hoppegarten. In den folgenden 27 Jahren erlebte die Karlshorster Region keinen Aufgalopp mehr, und in alten Schriften zur Geschichte von Karlshorst ist diese Phase des Pferderennsports tatsächlich nur selten zu finden. So wird sie zum Beispiel in Rektor Maaks Schrift „Kurze Geschichte von Berlin-Friedrichsfelde und Karlshorst“ (1917) oder in den Beiträgen von Hans Fest zur Karlshorster Geschichte nicht erwähnt. Das Heft „Vor den Toren Berlins, Friedrichsfelde – Karlshorst und Umgebung“ (1933) nennt nur die Großen Preußischen Armee-Jagdrennen seit 1862. Mit dem Schwinden der Kenntnis von diesen pferdesportlichen Ereignissen, die natürlicherweise auch dem Training der militärischen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Offiziere dienten, geriet auch die Bedeutung des Pferdesports für die Region in Vergessenheit. Immerhin hatten die Jagdrennen tausende Besucher aus den entfernteren Gemeinden und aus Berlin in das östliche Umland gezogen. Bei großen Rennen waren die umliegenden Straßen und Wege mit Equipagen und sonstigen Fuhrwerken verstopft, obwohl ein temporärer Bahnhaltepunkt lange vor dem Bahnhof geschaffen worden war. Das Areal wurde bekannter, und dennoch setzte sich die Erkenntnis, dass es zu mehr geeignet war als nur zu Ackerbau und Waldhütungen, nur langsam durch.

In den Jahren 1892/1893 begannen fast gleichzeitig die Bemühungen zur Gründung einer Wohnkolonie und der Bau einer festen Rennbahn mit Anschluss an das preußische Eisenbahnnetz.Mit der am 9. Mai 1894 in Karlshorst eröffneten Rennbahn des Hindernisvereins zu Berlin begann die zweite Phase des Pferdesports in der Region. Alle wichtigen Hindernisrennen fanden nunmehr in Karlshorst statt. Das rennsportliche Geschehen lieferte über Jahrzehnte Schlagzeilen für die Presse und Stoff für eine unüberschaubare Anzahl von Veröffentlichungen über erfolgreiche Pferde, Reiter, Trainer und Besitzer. Ebenso sind die Baumeister dieser größten Hindernisbahn in Deutschland in einer speziellen Publikation beschrieben.

Die glanzvollste Zeit des Hindernissports in Karlshorst fiel ohne Zweifel in die Jahre von 1894 bis 1914. Vom Ende des I. Weltkrieges bis 1933 blieb die Rennbahn Treffpunkt der Herrenreiter und Anhänger des national-konservativen Geistes. Davon zeugt im besonderen Maße die Enthüllung des „Heldendenksteines“, heute das Reiterdenkmal, auf der Rennbahn am 23. September 1925 durch den damaligen Reichspräsidenten von Hindenburg. Mit dieser Gruppenplastik von Willibald Fritsch fand die künstlerische Ausgestaltung der Rennbahn ihren Abschluss und ihre endgültige Anerkennung als schönste Bahn Deutschlands. Von 1933 bis 1939 konnte die Rennbahn ihren Platz als wichtigste Bahn für den Hindernissport auf Pferden behaupten. Welcher politische Geist auf der Rennbahn nach dem 30. Januar 1933 eingezogen war, ist noch Gegenstand der Nachforschungen. Die dafür notwendigen verschlungenen Forschungswege verdeutlicht Nele Maya Fahnenbruck in ihrer Publikation „...und reitet für Deutschland – Pferdesport und Politik im Nationalsozialismus“ (2013), am Beispiel von Hamburg. Herrenreiter oder nichtadlige Offiziersreiter bzw. Mitglieder des Vereins für Hindernisrennen, der sich 1933 in Verband deutscher Amateur-Renn-Reiter umbenennen musste, können nicht per se als Unterstützer oder Aktivisten des NS-Regimes gelten. Für Karlshorst zum Beispiel sei auf den Lebensbericht des DDR-Botschafters Horst Brie (1923 -2014) „ Davids Odyssee – eine deutsche Kindheit, eine jüdische Jugend“ (1997) hingewiesen. Darin beschreibt Horst Brie Wohnhaus und Stallungen des Trainers Joseph Winterstein an der Treskowallee gegenüber der Rennbahn. Er erinnert sich an die Freundschaft, die seine Familie mit den Wintersteins verband. Alfred und Traudel Winterstein gehörten zu den wenigen Menschen, die das Ehepaar Brie nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten und den daraufhin auch in Karlshorst beginnenden Ausschreitungen gegen jüdische Bürger unterstützten.

Mit der am 1. Juli 1945 eröffneten Trabrennbahn begann die dritte Etappe des Pferderennsports in Karlshorst. In den Jahrzehnten bis 1989 pilgerten Woche für Woche wieder Tausende, manchmal zwanzigtausend oder mehr Besucher nach Karlshorst, um das Fluidum dieser Trabrennbahn zu erleben oder ihrem Wettglück nachzurennen. Gerade letzteres machte den Pferderennsport und den Dauerwetter verdächtig. Zu den besonders geförderten Sportarten gehörte in der DDR das Trabrennen jedenfalls nicht, was Filmkünstler nicht hinderte, Rennen und Rennbahn zum Gegenstand ihrer Werke zu machen. Besonders bekannt sind die Filme „Siegquote 180“ aus der Serie Polizeiruf 110 (DDR, 1973) und „Schnelles Glück“, (DDR, 1988). Beide Streifen gelangten im Rahmen des Festivals des Pferderenn-Films während der Jubiläumstage in Karlshorst zur Wiederaufführung. Der ebenfalls wiederaufgeführte Film „Ein Unsichtbarer geht durch die Stadt“ mit Harry Piel (Deutschland, 1933), zeigte beeindruckende Bilder von der damaligen Hindernisrennbahn.

Die Trabrennbahn in Karlshorst verlor 1989 ihr Alleinstellungsmerkmal für diesen Sport auf dem Gebiet der DDR. Die Auseinandersetzungen um Erhalt oder Schließung im vereinigten Deutschland seit 1990 und die Krise des deutschen Trabrennsports seit Mitte der Neunzigerjahre führten zu einem dramatischen Rückgang nicht nur der Besucherzahlen, sondern auch der Renntage, der Rennpreise, der Meldungen. Die Folgen dieser zurückliegenden 25 Jahre sind bis heute auf der Karlshorster Bahn zu spüren. Dennoch bleibt: Die Eröffnung der Rennbahn in Karlshorst war die erste sportliche Großveranstaltung nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland überhaupt. Sie gab den Impuls, sich nach dem verheerenden Kriege und dem allgemeinen Niedergang auch sportlich wieder der Zukunft zuzuwenden. Die Leistungen für die Wiederaufnahme des Rennbetriebes durch die damaligen Akteure einschließlich der Unterstützung durch die Sowjetische Besatzungsmacht waren einmalig. Die Sportwelt hat diesen historischen Platz der Trabrennbahn Karlshorst längst anerkannt. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch die Gesamtberliner Politik diesem Gedanken stärker öffnet und den Erhalt eines denkmalwürdigen Ortes befördert.

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