Bonjour tristesse! – Von der Banalität des Morbiden

Reinhardt Gutsche

Dem Fotografen Harald Hauswald zum 60.

Er richtete sein Kameraobjektiv eher auf die Schmuddelecken der DDR, dokumentierte die Zeichen von Zerfall, des Abseitigen und des Bröckelnden in der spätsozialistischen deutschen Republik: Ärmlich gekleidete Menschen mit zumeist finster-skeptischem und stumpfem Blick, voller Hoffnungslosigkeit und Resignation, müde und missmutig. Punks mit genretypisch greller Haartracht und Outfit. Eine Gruppe versprengter Fahnenträger nach einer der Ritualdemonstrationen, verzweifelt gegen den Sturm ankämpfend. Den Trabbi, gleichsam der Volkswagen des Ostens, der sich nur mit Hilfe der ganzen Familie durch Anschieben in Bewegung setzen lässt usw..

Harald Hauswald war zu DDR-Zeiten so etwas wie ein Enfant terrible der dokumentarischen Fotografie. Seine mittlerweile legendären, unprätentiösen Schwarz-Weiß-Fotos hielten die Schattenseiten des Alltags abseits der Protokoll-Strecken, Vorzeige-Areale und von inszenierter Fröhlichkeit fest. Als Telegramm-Bote, neben Friedhofsgärtner einer der typischen Aussteiger-Jobs in der DDR, geriet der in Radebeul bei Dresden geborene gelernte Fotograf in seiner späteren Wahlheimat Ost-Berlin in so manche Ecken und Hinterhäuser, vor allem in Prenzlauer Berg, abseits der Schokoladenseiten der DDR. Sein Interesse galt dem scheinbar Nebensächlichen, zumeist Verborgenen oder Versteckten. Er spürte den ganz individuellen Aspirationen, Verweigerungen oder zur Schau gestellten Macken von Nonkonformisten und Exzentrikern aller Couleur nach. Er tat dies bei aller „sanfter Kühle und Reserviertheit“ (Peter Wawerzinek) gleichwohl mit unverkennbarer, solidarischer Empathie. Er schuf damit gleichsam ein „picturales Wording“ ganz eigener Art, das wohl sehr treffend das Lebensgefühl vieler Menschen der in das Abendlicht getauchten DDR widerspiegelt.

Aus westseitiger Perspektive waren dies in der Tat Zeugnisse aus dem „Fernen Osten“, so der Titel eines seiner ersten (nur im Westen erschienenen) Bildbände. Diese Fotodokumente fanden dortzulande um so größere Wertschätzung, als sie die gewachsenen Vorstellungen vom Leben ostseits der Mauer zu bestätigen schienen, wie etwa die Warteschlange vor dem Fleischer in der Oderberger Straße im Berliner Prenzlauer Berg, die vor sich hin bröckelnde Altbauruine vor trister Plattenbaufassade, die schwer gebeugte Greisin auf frühindustriellem Kopfsteinpflaster mit eingelassener Straßenbahnschiene usw. Besonders witzig die sarkastischen Seitenhiebe in den Fotos mit grotesken Politlosungen in kontrastierender Kulisse, wie „Es lebe der Marxismus-Leninismus“ über protzigen Volvo-Limousinen, wie sie in den 1980er Jahren vom SED-Politbüro benutzt wurden, oder „Frieden ist nicht sein – sondern Tun“ über einer langen Bank, voll besetzt mit gelangweilt dreinschauenden und wie in Second-hand-Kleidung gehüllten alten Leuten, worauf auch immer wartend. Über allem liegt ein Schleier missmutiger Apathie und lähmender Morbidität.Diese Bild gewordene Endzeitstimmung war es dann wohl, die das kulturpolitische Establishment der DDR bewog, Harald Hauswalds Fotokunst das künstlerische Stadtrecht zu verwehren und ihn so an den gesellschaftlichen Rand und Quasi-Untergrund abzudrängen. (Die Weihe einer Mitgliedschaft in dem staatskonformen „Verband Bildender Künstler der DDR“ wurde ihm erst zuteil, als der gerade im Begriff war, die konformistische Nabelschnur zu durchschneiden und sich, wie die anderen Künstlerverbände, an die Spitze der Wendebewegung zu stellen, also kurz vor Zwölf.) Denn an der Motivwahl allein kann es nicht gelegen haben: Auch DDR-Fotokünstler wie Sibylle Bergemann, Christina Glanz, Arno Fischer, Roger Melis, Helga Paris, Jörg Knöfel oder Christian Brachwitz wagten mit ihren Arbeiten ganz ähnlich unheroische und z. T. nicht weniger ironisch-hintergründige Blicke auf einen glanzarmen DDR-Alltag (z. B. in dem Fotolesebuch des Aufbau-Verlages „Schau ins Land“ von 1989). Von ihnen unterscheidet sich Harald Hauswald allerdings durch einen alles überwölbenden Grauschleier der Tristesse ohne versteckte Zipfel von Optimismus oder Spuren von Zuversicht.

Nicht jeder, der damals in der DDR gelebt hat, wird sich nach einem ganz persönlichen Erinnerungsabgleich in den ikonographischen Botschaften und fotografischen Protokollen von Harald Hauswald einschränkungslos wiedererkennen wollen. Gleichwohl verdient die darin eingefangene Endzeitstimmung archiviert und im visuellen Gedächtnis aufbewahrt zu werden, wie sie in den letzten DDR-Jahren bei vielen Menschen zunehmend anschwoll, ob bewusst oder unbewusst, ob angst- oder hoffnungsvoll.

Die legendäre Fotogalerie Friedrichshain am Helsingforser Platz war die erste und einzige Fotogalerie der DDR. Fünfzehn Jahre lang wurden hier Fotografen aus der DDR und dem Ausland vorgestellt, unter ihnen international so bekannte wie Sebastiao Salgado, Tina Modotti und Imogen Cunnigham. Vor 12 Jahren ging die einstige städtische Galerie dann in die Trägerschaft des „Kulturring in Berlin“ über und hat sich seither mit großem Erfolg bemüht, mit ihrem Ausstellungsprogramm dem prestigeträchtigen Erbe gerecht zu werden. In diesem Geist widmet die Galerie nun unter dem Titel „querbeet“ eine Jubiläumsausstellung zum 60. Geburtstag von Harald Hauswald, den man gut und gern in der großen Tradition der europäischen realistischen Fotokunst eines August Sander, Henri Cartier-Bresson, Robert Doisneau oder Willy Ronis sehen darf. Dem Jubilar Harald Hauswald herzlichen Glückwunsch. Möge ihm sein fotografischer Scharfblick noch sehr lange erhalten bleiben.

Vom 9. Mai bis 20. Juni, Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1, 10243 Berlin, Tel. 030 / 296 16 84, fotogalerie@kulturring.org,

geöffnet: Di, Mi, Fr, Sa 14-18 Uhr, Do 10-18 Uhr

Vernissage am 8. Mai ab 19 Uhr.

Zur Eröffnung spricht Marianne Birthler, dazu spielt die Sogenannte Anarchistische Musikwirtschaft.

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