„Das eigene Haus das Beste ist von Allen...“

Michael Laschke

Was sich hier liest wie die Einleitung zu einem Immobilienexposé, endet mit den Worten:„Darum: Vertrauend auf die eigene Kraft die Gemeinde dieses Werk nun schafft“. Es sind die Geleitworte des Stadtverordnetenvorstehers und Direktors der Friedrichsberger Bank, Erich Plonz, zu seinen drei Hammerschlägen anlässlich der Grundsteinlegung am 3. Juli 1911 für das damals größte städtische Vorhaben, den Bau des Krankenhauses der Stadt Berlin-Lichtenberg. Die Presse berichtete ausführlich darüber: „Ein großer Tag für Lichtenberg, Schmuck in der ganzen Stadt, die städtischen Beamten haben ab 12 Uhr mittags frei, die Hubertusstraße ist ein Fahnenmeer, die Baugrube ein Blumenmeer, die Feuerwehr ist zur Parade aufgestellt, frohe Bürger bilden Spalier, um die Ehrengäste zu grüßen“ usw. usf. Was machte diese Grundsteinlegung zu einem so bedeutenden Ereignis?

Da war erstens die elf Jahre andauernde Diskussion, ob die rasch wachsende Kommune tatsächlich ein eigenes Krankenhaus benötigen würde. Schließlich kostete die ganze Sache eine Menge Geld, und die Grundstückseigentümer wollten das nicht bezahlen. Im Hintergrund dachten sie dabei an die Verhandlungen über eine Eingemeindung nach Berlin, die seit 1893 liefen. Der Berliner Magistrat wollte sich allerdings nur das Areal bis zur Ringbahn einverleiben. Das lehnte die Gemeinde Lichtenberg mit Unterstützung der Staatsregierung ab. Die Verhandlungen blieben erfolglos. Dennoch lehnten die Grundstückseigner den Bau eines Krankenhauses ab. Ihrer Meinung nach gab es in Berlin genügend derartiger Anstalten. Wer Geld hatte, konnte sich dort behandeln lassen, und für die Minderbemittelten existierte eine veraltete Krankenbaracke, die etwa seit 1903 durch eine neue am Parallelweg 2 ersetzt worden war. Eine Zwei-Klassen-Betrachtung in der Gesundheitspolitik, die normal erschien.

Da war zweitens die mit der Eingemeindungsdiskussion verknüpfte Frage, ob Lichtenberg als selbstständige Kommune sich um die Zuerkennung der Stadtrechte bemühen sollte oder nicht. Oskar Ziethen, Lichtenberger Amtsvorsteher, erstellte zu dieser Frage im Jahre 1900 eine Denkschrift und kam zu der Überzeugung, dass eine effektive und moderne Verwaltung eines Gemeinwesens mit über 43.000 Einwohnern auf der Grundlage der Landgemeindeverfassung nicht mehr möglich sei. Er verwies darauf, dass sich die Zuerkennung der Stadtrechte an Voraussetzungen knüpfe, u.a. an die Existenz eines Krankenhauses. Mit dessen Bau dachte er in zwei Jahren zu beginnen – und irrte sich gewaltig.

Nach dem Antrag der Gemeinde Lichtenberg auf die Übertragung der Stadtrechte vom Jahre 1900 warf nämlich Berlin die Eingemeindungsfrage wieder auf. Nun änderte auch die Staatsregierung ihre Position und meinte, Lichtenberg sollte das Territorium bis zur Ringbahn durchaus an Berlin abtreten, und der Restbezirk könne dann mit Rummelsburg und Stralau zu einer größeren Gemeinde verschmolzen werden. Diesen Untergang lehnte die Lichtenberger Gemeindevertretung in seltener Einigkeit ab. Die Chancen auf eine schnelle Übertragung der Stadtrechte und den Bau eines Krankenhauses erhöhten sich dadurch allerdings nicht. Zu den Gegnern der Genehmigung der Stadtrechte gehörte u.a. der Landrat des Kreises Niederbarnim, Sigismund von Treskow, der keineswegs auf die Einnahmen aus dem „größten Industriedorf Deutschlands“ verzichten wollte. Erst als von der Schulenburg im Jahre 1904 Regierungspräsident in Potsdam wurde, ging es voran. Die Stadtrechte wurden 1905 in Aussicht gestellt, wenn u.a. Vorsorge für ein Krankenhaus geschaffen würde. Ziethen selbst war sich der Schwierigkeiten dieses Baus durchaus bewusst, wenn er in einer neuerlichen Denk- und Antragsschrift ausführlich begründete, dass die eigenen Einnahmen des Hauses gering, die Kosten hingegen hoch sein würden und das Haus „also eine sehr bedeutende und starke Belastung des Gemeindehaushaltes zur Folge haben“ wird. Als Goldgrube betrachtete er das künftige Krankenhaus nicht. Er stellte sich jedoch trotz der finanziellen Nöte den künftigen Anforderungen an das Gesundheitswesen in einer wachsenden Gemeinde. Sparen durch Streichen war seine Sache nicht. Ein Krankenhausgrundstück wurde 1905 beschafft, notwendige Ergänzungen später durch städtische Flächen geleistet. Im Jahre 1907 war ein Etappenziel erreicht. Die Genehmigung zur Übernahme der Stadtrechte wurde durch den Kaiser erteilt, und nach Absolvierung der notwendigen Veränderungen durfte sich Lichtenberg als Stadt bezeichnen. Jetzt zeigte sich, dass die Mehrheit der Abgeordneten mit dem Stadtrecht zufrieden war. An den Bau eines Krankenhauses dachten sie nicht, obwohl es keine eigene, geregelte Krankenhausversorgung gab. Noch immer hoffte man auf die umliegenden Einrichtungen zur Krankenversorgung, vor allem in Rummelsburg. Als Argument nutzen die innerstädtischen Krankenhausgegner nun die Standortfrage. Ein regelrechter Grundstückspoker begann und verzögerte den ersten Baubeschluss bis 1909. Zum Vorteil für Lichtenberg, denn die Einwohnerzahl war so gestiegen, dass eine Einrichtung mit 150 Betten schon bei der Eröffnung zu klein gewesen wäre.

Die neu geplante Anlage, vom Stadtbaurat Uhlig 1909/1910 entworfen und gebaut, sah 450 bis 500 Betten vor und hat sich bis in die jüngste Vergangenheit bewährt. Mit der Ablehnung des erneut erforderlichen Baubeschlusses Anfang April 1911 kam es zum Eklat. Nun forderten der Polizeipräsident und die Ortskrankenkasse vehement den Bau des Hauses. Eine neue dringliche Sitzung der Stadtverordnetenversammlung fasste Ende April 1911 den gültigen Baubeschluss. Die eingangs beschriebene Grundsteinlegung konnte stattfinden. Sie ist, so gesehen, der Abschluss eines des Merkens würdigen Prozesses in der Geschichte von Lichtenberg. Sie verdeutlicht darüber hinaus, wie schwierig es sein kann, Wandlungsprozesse in Gang zu setzen, sie richtig zu steuern und mit den Kritikern umzugehen. Für Oskar Ziethen war sie ein Beleg für die Richtigkeit seiner transparenten Verwaltungsführung.

Die Bauarbeiten für den großstädtischen Komplex mit den damals modernsten medizinischen Einrichtungen begannen im Sommer 1912 und waren nach zwei Jahren größtenteils abgeschlossen. Nach der Eingemeindung Lichtenbergs in Groß-Berlin 1920 zeigte sich schnell, dass der Bau des Hauses nicht nur als ein Ergebnis des Wandels der Kommune vom Dorf zur Stadt zu betrachten ist. Er erschloss auch neue Potenziale, mit denen der Bezirk Lichtenberg, zusätzlich zu seinem Industriecharakter, zu einem bedeutenden Berliner Gesundheitsstandort heranwuchs. Umfangreiche Investitionen in der jüngsten Vergangenheit haben das Krankenhaus den modernsten Anforderungen angepasst und für die Zukunft gerüstet. So kann das heutige Sana-Klinikum Lichtenberg am 26. Oktober 2014 den hundertsten Jahrestag der Eröffnung eines damals wie heute modernen Berliner Krankenhauses feiern.

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