Einwurf: „Gib TAFTA keine Chance!“

Reinhardt Gutsche

Glaubt man den Frontseiten der Yellow-Press für Lieschen Müller und den feineren Pendants für Dr. Lieschen Müller, so kennt die Welt gegenwärtig wohl keine größeren Sorgen als Skiunfälle und erotische Abenteuer von Regierungschefs und anderer VIPs, die Schummeleien des ADAC oder die neuesten Intrigen im Dschungel-Camp. Darüber geraten dann Entwicklungen aus dem Blick, die darüber bewusst vom medialen Focus ferngehalten werden, aber für uns alle unabsehbare Folgen haben können, also wirklich wichtig sind. Dazu gehören die transatlantischen Verhandlungen zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union, dem sog. „Trans Atlantic Free Trade Agreement“ (TAFTA). Ihr Ziel ist die Schaffung der „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP), des weltweit größten integrierten und vollständig liberalisierten, d. h. weitgehend deregulierten Wirtschaftsraumes mit einer summierten Wirtschaftskraft von 20 Billionen Euro.

Dass kaum ein Mensch je davon gehört hat, liegt vor allem daran, dass die Verhandlungen in Brüssel wie zu Metternichs Zeiten der Geheimdiplomatie hinter verschlossenen Türen stattfinden und sogar die offiziellen Beobachter des Europäischen Parlaments zum Stillschweigen verpflichtet sind. Diese Geheimniskrämerei hat seinen (schlechten) Grund: Es geht nicht nur um Abbau von Handelsbarrieren, wie Zöllen, Quoten, Lizenzhürden etc., sondern viel mehr um eine „Harmonisierung“ von „nicht-tarifären“ Schranken, wie etwa Qualitäts-Standards von Produkten im weiteren Sinne, d. h. von Gütern und Dienstleistungen aller Art, auch „kultureller Dienstleistungen“, was beim näheren Hinsehen zumeist auf eine Angleichung nach unten hinausläuft, d. h. hinab auf die zumeist lascheren US-amerikanischen Produktregeln etwa für Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz usw.

Im Visier der Lobbykraten der Spitzenliga der Großkonzerne, die bei 90 % aller Verhandlungsrunden zugegen sind und deren Agenda diktieren, sind aber viel mehr noch die staatlichen sozialen Schutznetze, die bisher noch in Europa zu den Essentials der sozialen und kulturellen „acquis communautaires“ gehören, wie etwa Subventionen im Kulturbereich. Der juristische Knackpunkt des Ganzen besteht darin, dass einmal getroffene Vereinbarungen später nur durch alle Signatarstaaten einstimmig wieder modifiziert werden können, quasi ein schrankenloses Veto-Recht zu Nutz und Frommen vor allem der transnational operierenden Großkonzerne. Einzelne Konzerne würden nach diesem Abkommen quasi den Rechtsstatus eines Völkerrechtssubjekts erlangen wie Nationalstaaten. Sie könnten so z. B. von demokratisch legitimierten Gesetzgebern bis hinunter in die Kommunen erlassene sozialstaatliche Gesetze mit dem Argument „entgangener Gewinne“ aushebeln und auf Kosten der Öffentlicher Hände abkassieren – eine Lizenz zum Gelddrucken. Die nationalen Regierungen bis hinunter zu den Kommunalverwaltungen würden verpflichtet, ihr jetziges und künftiges innenpolitisches Handeln, ihre Gesetze, Regelwerke und administrativen Verfahren dem umfangreichen TTIP-Regelwerk unterzuordnen und die im Abkommen vereinbarten Vorgaben einhalten, d. h immer und ewig nach der TAFTA-Pfeife und der darin verankerten Investorenprivilegien zu tanzen.

Kritiker sehen dann auch in der ganzen Operation nichts anderes als die Neuauflage des Investitionsschutz-Abkommens „MAI“ zulasten der Verbraucher, Steuerzahler und abhängig Beschäftigten, wie es Ende der 1990er Jahre unter dem Dach der OECD verhandelt wurde, dann aber am Widerstand vieler NGOs und mehrerer Parlamente und Regierungen, vor allem Frankreichs, scheiterte, nachdem Whistleblower den hanebüchenen Vertragstext ins Netz gestellt hatten. Sollte es diesmal klappen, so die Warnungen, bedeutete dies das Ende der Volkssouveränität durch eine Quasi-Entmachtung der demokratischen Institutionen in den beteiligten Staaten. Es wäre das Ende einer Menschheitsepoche um den mageren Preis von knapp 200 000 (!) zusätzlichen Arbeitsplätzen in Deutschland und einem Wachstumsschub von sage und schreibe 0,06 %, die das Freihandelsabkommen optimistischen Schätzungen zufolge angeblich bringen soll, ... nach 15 Jahren! Diese „Wirtschafts-NATO“ mit grenzenlosen Befugnissen und Privilegien wäre nichts weniger als ein gigantischer „Staatsstreich in Zeitlupe“. (So Lori Wallach, Chef von Public Citizen‘s Global Trade Watch, der weltweit größten Verbraucherschutzorganisation, in „Le Monde diplomatique“ vom November 2013). Geplant ist nichts weniger, als die von den sozialen Bewegungen des 20. Jahrhunderts durchgesetzten Fortschritte größtenteils wieder rückgängig zu machen. Es wäre ein Trojanisches Pferd zum Abbau des hierzulande immerhin grundgesetzlich garantierten Sozialstaates und zur endgültigen Rückkehr zu einem ultraliberalen Nachtwächterstaat.

Ein Kollateralschaden dieses Freihandelsprojektes würde womöglich darin bestehen, quasi im Handumdrehen dem ohnehin angeschlagenen, nicht-englischsprachigen europäischen Kulturbetrieb zugunsten einer globalen Leitkultur der Anglosphäre den Todesstoß zu versetzen. Sogar für das bildungsbürgerliche Feuilleton der FAZ hat die ganze Operation schon Züge eines quasi-religiösen Kulturkampfes angenommen, in dem es um die Totalökonomisierung und Angleichung gesellschaftlicher Grundverabredungen und Lebensweisen an US-amerikanische Standards geht. (FAZ, 19.02.2014). Objekt der Begierde sind dabei die vergleichsweise noch gut ausgestatteten Töpfe öffentlicher Kultur- und Bildungsförderung in Europa, die nach dem Dogma der Neo-Orthodoxie à la Ayn Rand dem Geist der totalen Freien Marktwirtschaft widersprechen und ausgemerzt gehören.

Der Widerstand gegen dieses Ansinnen kommt dann folgerichtig auch vor allem aus Frankreich, dem Spiritus Rector des Schutzes einer „Kulturellen Diversität“ in den internationalen Kulturbeziehungen. Schon auf der UNESCO-Tagung „Mondiacult“ 1982 in Mexico hatte der damalige französische Kulturminister Jack Lang den „kulturellen Imperialismus“ angeprangert, ohne allerdings Ross und Reiter zu nennen, was die Delegierten der indirekt angesprochen Weltmacht nicht daran hinderte, aus Protest den Saal zu verlassen... Heute steht die französische Diplomatie wieder in vorderster Front der Forderung nach einer „Exception culturelle“ mit dem Postulat, Bildungs- und Kulturgüter seien keine Ware wie jede andere, sondern bedürften des besonderen öffentlichen Schutzes. Dem hat sich inzwischen sogar das Europäische Parlament angeschlossen, das (mit vielen Gegenstimmen aus der Fraktion der konservativen Parteien) auf Initiative Frankreichs beschloss, „die Ausklammerung von Diensten mit kulturellen oder audiovisuellen Inhalten, auch online, im Verhandlungsmandat eindeutig festzuhalten, um die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der EU nicht zu gefährden”. Zudem zogen die Abgeordneten mehrere „rote Linien” hinsichtlich europäischer Werte und Standards, die man in den Gesprächen unbedingt verteidigt sehen wolle. Dazu zählt nicht zuletzt das geistige Eigentum als „Eckpfeiler von Europas wissensbasierter Wirtschaft”.

Auch in Deutschland scheint man für diese „Ausnahme“ zunehmend sensibilisiert zu sein. So ist auch die SPD der Auffassung, „audiovisuelle und kulturelle Dienstleistungen sollen nicht Gegenstand der TAFTA-Verhandlungen sein, denn diese Dienstleistungen seien nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Kulturgüter, die die Identität eines jeden einzelnen Mitgliedstaates widerspiegeln“. Die Sozialdemokraten verweisen auf den europäischen Konsens, Kulturgüter nicht allein der Macht des Marktes zu überlassen (Antrag der SPD-Bundestagsfraktion 17/13732). In der Tat, Filmförderung, Buchpreisbindung oder das hiesige vergleichsweise immer noch dichte Netz der Staats-, Landes- und Stadttheater, aber auch Instrumente wie die Künstler-Sozialkasse oder die öffentliche Förderung lokaler Kulturvereine wie des Kulturrings würden eine rigorose Angleichung an marktkonforme Strukturen und Regeln der „Kulturwirtschaft“ wohl nicht lange überleben.

Ob die Politik der schützenden Hand über die Bildungs- und Kulturgüter in den TAFTA-Verhandlungen durchzuhalten sein wird, bleibt abzuwarten und ist eher mit Skepsis zu beurteilen. Am besten wäre es daher, TAFTA würde das gleiche Schicksal erleiden wie sein Vorgängerprojekt MAI vor 15 Jahren und in Gänze an dem Widerstand einer kritischen und hinreichend informierten europäischen Öffentlichkeit scheitern. Daher sei die zivilgesellschaftliche Forderung unterstützt: „Gebt TAFTA keine Chance!“

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