Kultur oder Unkultur – Ursachenforschung und Quellensuche | Anmerkung zu Hanno Schult: „Gedanken zur Kommunikationskultur im Zeitalter der digitalen Revolution“, Kultur News, 04/2019

Gerhard Metzschker

Der Einstieg in den Beitrag begann mit dem beigefügten Schmuckbild als Blickfang, das offenbar Geräte der Fernmeldetechnik aus dem späten 19. Jahrhundert zeigt. Der hier beigefügte Text orientiert auf die Revolution in der weltweiten Kommunikationskultur durch Nutzung „elektronischer Wellen", korrekt: elektromagnetischer Wellen. An anderer Stelle des Beitrags heißt es ausführlicher, dass seit den „Zeiten, als der Homo Sapiens den aufrechten Gang lernte" (korrekt: der Homo Erectus ging erheblich früher aufrecht) „die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts mit den technischen Erfindungen schneller Nachrichtenübermittlung zu Lande, im und auf dem Wasser sowie in der Luft" einen Umbruch unserer Kommunikationskultur darstellen. Ergänzend wäre noch darauf hinzuweisen, dass schließlich auch der luftfreie Raum als Übertragungsstrecke erobert wurde. Fragwürdig bleibt, ob das gesprochene Wort mit dem Erscheinen des Homo Sapiens als „Umbruch in unserer Kommunikationskultur" gelten darf, kommunizierten die Neandertaler wortlos?

Der Verfasser verlässt nun unvermutet den technischen Bezug, beklagt in der Hauptsache den beschleunigten Niedergang der Kommunikationskultur in der Gesellschaft durch die neue Digitaltechnik und benutzt leider lax Vokabeln, die das Verständnis für seine Ausführungen trotz interessanter, diskussionswürdiger Fakten sehr erschweren. So orientiert er zur Schadenmilderung auf (unbekannte) „Gebote zur richtigen Form der Nachrichtenübermittlung" auf Basis einer stets „empfängergerechten Kommunikation" als erstes Gebot unter Anlehnung an die 10 Gebote der Bibel. Diese „Richtlinien" hätten sich im Lauf der Jahrtausende in der Zivilisation entwickelt und die Kommunikationskultur geprägt. Geht es wirklich nicht etwas simpler, um z. B. das Geheimnis von richtigen Übermittlungsformen zu verstehen, die Differenz zwischen richtiger (alternativ aber auch falscher) Empfängergerechtigkeit auszumachen und ggf. etwas über weitere Normen zu erfahren? Denn offenbar liegen hier die entscheidenden Ursachen für die Unkultur verborgen.

Für derartige Schwierigkeiten in der Nachrichtenübermittlung können technische Nachrichtensysteme natürlich nicht belastet werden, denn diese beruhen stets auf einer Verbindung des Senders mit dem Empfänger durch einen Übertragungsweg. Die beiden Schnittstellen zwischen Sender/Übertragungskanal und Übertragungskanal/Empfänger bearbeiten Signale und greifen in die Inhalte weder richtig noch falsch ein.
Erst im weiteren Text wird auch augenscheinlich, dass die Technik als Basis der Kommunikationskultur unwichtig ist, der Autor widmet sich stattdessen der aktuell gestörten Verhaltenskultur der Kommunikanten und entdeckt m. E. darin die Gefahr einer sich anbahnenden Unkultur. Hier sei die Frage erlaubt, ob diese Entwicklung entweder ursächlich der Digitaltechnik oder durch diese nur begünstigend geschuldet ist? Hätte sich dieser Zustand, jahrelang provoziert durch viele neue und leider missverstandene, letztlich auch politisch inszenierte Freiheitsgrade, nicht bereits im analogen Zeitalter einstellen können? Weil der Autor nun noch zusätzliche Aspekte wie „Mimik, Gerüche, Gestik" usw. als weitere Formen und Mittel der Kommunikation, des weiteren die Chemie in einer Beziehung und Bauchgefühle ins Gespräch bringt, wird der Bezug zur digitalen Revolution ziemlich fragwürdig .
Diese Sichtweise auf die Kommunikationskultur ist leider nicht originell, denn auch das Analogzeitalter kannte im bescheideneren Umfang Fehlverhalten und Respektlosigkeiten zwischen den Kommunikationspartnern, erinnert sei nur an den Vandalismus bei öffentlichen Fernsprecheinrichtungen oder Telefonterror, geheimes Abhören, Zurechtweisungen in Druckerzeugnissen oder Lügenmeldungen. Neu in der Digitalwelt sind allerdings neben dem ausgeprägten Wirtschaftsfaktor die lange erwartete, ständige Verfügbarkeit auch während Konzertdarbietungen, der Smartphone-Betrieb des Fahrers im fahrenden Auto, die In-kaufnahme einer erheblich geminderten Sprachqualität per Handy (international gemessen an der Silbenverständlichkeit) sowie ein laufendes Internet-Angebot an Kommunikanten, wöchentlich werden etwa 50 fremde Personen angeboten – welche grandiose digitale Welt für ein offenbar überfordertes Publikum!

Archiv