Die Kreativen im Studio

Ingo Knechtel

Unterweisung in der Technik der Radierung, Anfertigen von Ätzradierungen, Arbeit an der Druckpresse, Vermittlung von Grundlagen im figürlichen Gestalten, figürliches Naturstudium nach einem Aktmodell – so oder ähnlich trocken klingen die Kursbeschreibungen, die einem Interessenten im Studio Bildende Kunst in Lichtenberg präsentiert werden. Natürlich bekommt der Fragende noch mit auf den Weg, dass all dies unerlässliche Grundlagen für ein Studium an einer künstlerischen Hoch- und Fachschule sind und dass es sich bei den Kursen um berufsorientierende Vorbreitungen handelt, auch um vielleicht besser durch die gefürchteten Aufnahmeprüfungen zu kommen.

Soweit, so gut, denke ich. Zum Glück gibt es Tage der Offenen Tür. Und da treffe ich schließlich den Mann, von dem ich schon soviel gehört habe und dessen Grafiken mir besonders in den letzten Jahren immer wieder begegnet sind: Stefan Friedemann. Natürlich ist er mitten bei der Arbeit, im Keller, an der Druckpresse. Er erklärt mir die verschiedenen Techniken der Radierung. Und ich fange an zu begreifen, was den Mann antreibt, was ihm Freude an dem Kreativ-Sein bereitet. Es ist schon deutlich etwas Anderes, eine Druckgrafik entstehen zu sehen, all die Mühen zu erfahren, die damit verbunden sind, als diese dann ausschließlich in einer Ausstellung gerahmt zu bewundern. Und Friedemann kann seine Zuhörer begeistern. Er erzählt vom Besuch einer Schulklasse aus dem Elsass im März 2013, für die er und sein Team einen Druckworkshop veranstalteten. Die jungen Franzosen waren mit Neugier, Spaß und Inspiration dabei und hielten zum Schluss ihre Andrucke stolz in die Kamera. „Ein spontanes französisch-deutsches Freundschaftstreffen“, resümiert Friedemann.

Aber das Studio bietet auch Kurse für ältere Menschen. Neben dem gemeinsamen Bezugspunkt Kunst gibt es hier die Komponente sozialer Integration. Niveauvolle gedankliche Auseinandersetzung, lebendiger Austausch, auch das verständnisvolle Gefordert-Werden in offener, vertrauter Atmosphäre sind Prämissen, die die Arbeit im Kulturring anziehend machen.

Schließlich will ich noch mehr über die Aktkurse wissen. Und wieder hat Stefan Friedemann eine Besonderheit für mich parat: „Einzigartig in Lichtenberg ist, dass erworbene Kompetenzen im Aktzeichnen in der unmittelbaren Arbeitssituation vor dem Aktmodell in die Gestaltung einer Radierplatte einfließen. Diese kann dann in der Druckwerkstatt des Hauses gedruckt und weiterbearbeitet werden. Eine derartige Symbiose von Aktzeichnen und Radiertechnik innerhalb eines Hauses ist in keinem Volkshochschulangebot möglich“, fügt er sichtlich stolz hinzu. Der Kurs arbeitet z.B. auch intermedial durch das Zeichnen nach Tanzperformances der Folkwang-Tänzerin Tania Giron. Auch gibt es zwanzig Prozent der Teilnehmer mit Migrationshintergrund – Indiz für die weltoffene, tolerante Atmosphäre der Kurse im Studio Bildende Kunst.Als Beleg für die intensive Arbeit des Graphik-Collegiums im Studio berichtet Friedemann von vielen Ausstellungen und Erfolgen seiner Kursteilnehmer. Und spricht dann voller Begeisterung und Dankbarkeit vom letzten Höhepunkt im abgelaufenen Jahr: Veranstaltet durch den Aktionskreis evangelischer Kirchengemeinden „Kinder von Tschernobyl“ und als Gemeinschaftsprojekt mit der Galerie Ratskeller, dem Graphik-Collegium, dem Studio Bildende Kunst im Kulturring und dem Druckgraphik-Atelier Hartwig fand am 22. 11. die 21. Kunstversteigerung für die Kinder von Tschernobyl statt. Von den 238 Werken von 79 Spendern wurden 170 versteigert – für einen Rekorderlös von 6.800 €. Das Höchstgebot erzielte ein Werk des Lichtenberger Künstlers Strawalde. Auch viele Jahre nach der Atom-Katastrophe in Tschernobyl 1986 wird das Geld noch dringend benötigt. Spätschäden werden immer deutlicher sichtbar. Besonders gefährdeten Kindern aus Gomel soll ein drei- bis vierwöchiger Aufenthalt in Deutschland zur Stärkung ihres Immunsystems ermöglicht werden.

Und so schließt sich ein Kreis für mich. Die Kurse im Studio Bildende Kunst sind lebendig geworden. Die Kreativen im Studio sind nicht nur begeisterte Kunst-Freaks, sie sind echte Kunst-Profis. Und, was mich zutiefst beeindruckt: Sie sind – ohne viel darüber zu reden – als Mensch und mit ihrer Kunst sozial sehr engagiert.

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