Der Mann, der mit der Oma kam

Ingrid Landmesser

Nein, es ist nicht der Schauspieler Winfried Glatzeder, mit dem mich gemeinsame Studienzeiten an der Babelsberger Filmhochschule verbinden und der da mit seiner jugendlichen Oma vor meiner Tür steht. Die sympathische Renate M. kenne ich von meiner Filmarbeit im St. Elisabeth-Stift. Sie ist eine von den ehrenamtlich Tätigen, die sich um eine Bezugsperson im Pflegeheim kümmern. Sie hat ein Anliegen: Aus Gesprächen im Stift und Artikeln in der „Heimzeitung“ und den „Kultur-News“ ist ihr das Projekt „Hausgemachter Kintopp“ bekannt, ebenso wie meine Lehrtätigkeit an mehreren Filmschulen. Ihr 23jähriger Enkelsohn hat Mediengestaltung studiert und muss für den Abschluss noch eine Prüfung nachholen. Das sind nahezu ideale Interessenschnittpunkte für unser „Hausgemachtes“, das mit und für Bewohner und Mitarbeiter mehr Kommunikation, Diskussion – also Gemeinschaftsgefühl – fördern soll und dabei mit Lust und Spaß verbunden ist. Das preisgekrönte Projekt hat seit Jahren im Kulturring in Berlin e.V. nicht nur sein technisch betreutes Zuhause. Der Kulturverein mit zahlreichen Netzwerkverbindungen zu anderen Einrichtungen und gemeinwohlorientierten Organisationen ist auch idealer „Nährboden“ für individuelle Weiterbildung und Verwirklichung. Ich schlage Stefan B. vor, sich als „Ehrenamtler“ für dieses sozial-kulturelle Projekt zu engagieren. Rasch findet ein Gespräch mit der Projektkoordinatorin im Kulturring Pankow statt. Die Formalitäten sind schnell und unkompliziert erledigt. Freude ist dabei auf beiden Seiten.

Ehrenamt ist eine Zeitspende. Die Lebenssituation junger Menschen ist heute durch einen großen Druck gekennzeichnet: Durch hohe Anforderungen an Qualifizierung, Leistung. Mobilität und Flexibilität, denen immer noch unsichere Berufsaussichten gegenüber stehen. Sie wollen durch ihr Engagement Spaß haben, aber auch Qualifikationen erwerben, die ihnen für Ausbildung und Beruf nützlich sind. Der nächste Tag ist für Stefan B. schon eine Herausforderung: Dokumentarisch arbeiten mit professioneller Aufnahmetechnik. Unbekannt, was da auf ihn zukommt, im Rosencafé in dieser wöchentlichen Handarbeitsrunde, „Strickliesel“ genannt. Den Damen und Herren, die sich zur „Strickliesel“ zusammengefunden haben, stelle ich den jungen Mann vor und frage die „Neulinge“ nach dem Einverständnis für unsere Filmaufnahmen. Erfreulicherweise ist eine Ergotherapeutin aus der externen Versorgung mit einer ihrer beiden Patientinnen in der Runde und hat ihre junge Praktikantin mitgebracht, die hier vor ein paar Wochen das wieder in Mode gekommene Häkeln und Stricken gelernt hat. Wir reden darüber, wie wichtig Handarbeit für die Beweglichkeit der Hände sein kann. Ich habe diesmal kunstvolle Buchstabenstickerei mitgebracht, deren Beherrschung für junge Mädchen früher ein „Muss“ war, um die „Aussteuer“ zu kennzeichnen. Auch einen hübsch gestalteten Frühstücksbeutel aus Leinen benutze ich, der die Plastiktüte für leckere Schrippen erspart.Unser letzter Film über die „Strickliesel-Runde“ förderte für junge Zuschauer amüsante Neuigkeiten aus Großmutters und Großvaters Zeiten zutage. Zum Beispiel das Chemisette – auch „Betrügerbluse“ genannt, weil es nur ein Teilstück einer Bluse / eines Hemdes war. „Eine ganze Bluse konnten sich eben nur reiche Leute leisten“, bemerkte eine ältere Dame etwas spitz.

Am Ende des Tages kontrollieren wir unsere Bildaufnahmen. Haben wir gute Momente eingefangen, die etwas von der Atmosphäre wiedergeben und mehr erzählen als den bloßen Bildinhalt? Die Mitwirkenden sind auch unser Publikum und haben ein besonderes Gespür für das, was sie wahrnehmen. Ein wunderbares Publikum für einen Filmemacher: Unmittelbare Reaktionen wie Szenenbeifall, Mitsingen und so begeisterte Ausrufe: „Das sind so schöne Erinnerungen, ein Glück, dass wir sie festgehalten haben!“ Es ist aber auch ein ehrliches Publikum, das äußert, wenn etwas nicht gefällt. So haben wir am Sonntag die Gelegenheit für einen Nachdreh mit Herbert Jahn, dem 92jährigen, ehemaligen verdienten Lehrer und ausgezeichneten Kabarettisten der „Klapperschlangen“. Bei unserem letzten „Kleinen Filmgespräch“ bemängelte er sein heutiges, faltiges Aussehen im Gegensatz zu den Schwarzweißaufnahmen eines Auftrittes von 1984. Er befindet sich mit seiner typischen Schauspielernörgelei im Einklang mit Winfried Glatzeder, dem „Mann, der nach der Oma kam“, einst Paulas Paul aus dem DDR-Kultfilm „Die Legende von Paul und Paula“. In der Super-Illu klagt der 68jährige Glatzeder, jeden Tag begrüße ihn ein „verknautschtes Gesicht im Spiegel“, aber innerlich fühle er sich wie 20... Mit unserer besseren Filmtechnik und Stefans gekonntem Umgang damit haben wir sonntags Zeit und Ruhe, um im Roten Salon weitere Geschichten vom Kabarett – damals und heute – mit der Kamera aufzunehmen. Stefan B. hat endlich Zeit, Herrn Jahn ins „rechte Bild“ zu rücken. In der Kapelle treffen wir Frau Maunge, die von einem Projekt „Lieblingslieder“ im St. Elisabeth berichtet, in Zusammenarbeit mit Schülern und der „Jungen Deutschen Oper“. Das würden wir natürlich gern filmisch dokumentieren. Mit unseren Filmen wollen wir auch die vielfältigen Möglichkeiten für gesellschaftliches Engagement aufzeigen, unter dem Motto „Miteinander – Füreinander“.

Engagement im Ehrenamt sollte Spaß und auch Erfüllung bringen, für die Bewohner die so wichtige Zuwendung und für Mitarbeiter Entlastung. Allerdings sollte das Ehrenamt kein Ersatz für Arbeitsplätze oder öffentliche Leistung sein, denn Ehrenamt ist eine Ergänzung zur staatlichen Daseinsfürsorge, aber kein Ersatz. Glaubwürdigkeit und Transparenz von Politik, Verwaltung und Verbänden werden in Zusammenhang mit dem Ehrenamt größere Bedeutung bekommen, u.a. auch weil die Bevölkerung befürchtet, dass ehrenamtliches Engagement ausgenutzt wird, um Sparmaßnahmen zu kompensieren und Ehrenamtler sich als „Notnagel“ oder „Lückenbüßer“ empfinden. Unser aller Ziel soll es aber doch sein zu erreichen, dass Oma und Enkel bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit sich wertgeschätzt fühlen. Frust und Lust in der ehrenamtlichen Tätigkeit liegen bei Stefan und seiner Oma oftmals nahe beieinander, weil die Kommunikation innerhalb der Gemeinschaft und die Wahrnehmung durch die Politik zu wünschen übrig lässt. Junge Leute möchten einen Beruf mit Zukunft erlernen. Das sollte nicht nur für die Altenpflege gelten. Die Ignoranz der Wirklichkeit durch die Politik macht junge Leute nicht hoffnungsvoller auf Zukunft.

In dem DEFA-Film „Der Mann, der nach der Oma kam“ führten mangelnde Kommunikation und Missverständnisse zu einem schlechten Ruf des jugendlichen Helden Erwin Graffunda, alias Winfried Glatzeder. Es stellte sich jedoch heraus, dass der junge Mann als „Kindermädchen in einer Familie“ nur praktische Erfahrungen für seine Dissertation sammeln wollte. So wurden am Ende alle Gerüchte widerlegt.

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