Zerissen

Ingo Knechtel

fühlte sich ein Bewerber, als er dieser Tage mit einem Vermittlungsvorschlag des Jobcenters für eine geförderte Stelle im Kulturbereich vor mir stand, aber selbst – aus persönlicher Erfahrung heraus – meinte, die Fördermittel sollten nicht für kulturelle Projekte, sondern eher für „rein Soziales“, wie die Betreuung von Demenzkranken, eingesetzt werden. Hier sei die Not am größten, und es ginge ja um menschliche Zuwendung, was wichtiger sei als zum Beispiel Kunstausstellungen. Dieser Meinung war im abgelaufenen Jahr auch ein vereinzeltes Berliner Jobcenter und förderte kaum Arbeitsgelegenheiten für die kulturelle Arbeit freier Träger. Es lohnt sich, meine ich, in unserer schnelllebigen Zeit in Ruhe über solch durchaus verständliche Sorgen nachzudenken. Spontan fällt mir dabei als erstes ein: Wieso soll eigentlich ein Demenzkranker keine Kultur brauchen? Kulturelle Betätigung ist auch für Kranke ein wichtiger Lebensinhalt, meist sogar auch ein therapeutischer Ansatz. Kulturelle Angebote stehen einer Betreuung nicht entgegen, sondern sind ein wichtiger Teil davon. Ein zweiter Blickwinkel: Da, wo Solidarität gefragt ist, bringt ein gegenseitiges Aufrechnen oder Ausspielen wenig. Unendlich viel gibt es zu tun in diesem Land, gerade auch dort, wo kommerzielle Interessen nicht im Mittelpunkt stehen, sondern der Mensch oder die Natur. Dieses Engagement bedarf einer Förderung und struktureller Voraussetzungen. Wir brauchen die verschiedenartigsten Betätigungsfelder, wenn wir Menschen aktivieren wollen, denn ihre Interessen und Möglichkeiten sind sehr unterschiedlich. Wir als Kulturring laden zur Mitwirkung, zur gemeinschaftlichen Arbeit im kulturellen und sozial kulturellen Bereich ein. Wir denken, dass jeder die Möglichkeit erhalten muss, sich einzubringen, egal ob als Freiwilliger oder sog. Ein-Euro-Jobber. Allerdings geben wir uns mit der Situation, wie sie ist, nicht zufrieden, wollen, dass noch mehr Menschen den Schritt aus ihren vier Wänden heraus in die Gemeinschaft wagen. Diese Zerreißprobe muss jeder einzelne bestehen, damit die Gesellschaft als Ganzes nicht zerreißt.

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