Lesen oder lesen lassen,

Ingo Knechtel

blättern Sie noch oder scrollen Sie schon? Befindet sich Ihr Buchladen im weltweiten Netz oder in der Nähe Ihres S-Bahnhofs? Solche oder ähnliche Fragen verdeutlichen, wie sehr sich die Welt der Bücher und ihre Verbreitung in den letzten Jahren verändert hat. Für alles gibt es ein Für und Wider. Lese ich ein Buch selbst, tauche ich quasi in eine andere Welt ein. Ich bestimme selbst, wie intensiv ich das tue. Höre ich ein Buch, fasziniert mich die Stimme des Schauspielers, oder ich begegne dem Autor und lese in dessen Mienenspiel. Blättere ich papierne Seiten um, glaube ich Druckerschwärze zu riechen, meine Augen genießen den edlen Druck und die Gestaltung. Das digitale Buch verschönert mir die Lesezeit während des Urlaubs, ohne das Gepäck zu belasten. Eine Buchbestellung im Netz spart mir Zeit, wenn ich weiß, was ich will. Doch das Büchereck an meinem S-Bahnhof ist ein wahrer Platz, um zu stöbern. Jedes Mal staune ich zudem, was mein Buchhändler so alles liest, und wie er das schafft. Er berät, aber vor allem macht er neugierig auf Bücher, die ich sonst nicht bemerkt hätte. Die jüngste Statistik verrät mir, dass noch 50 % des Gesamtumsatzes an Büchern über das Ladengeschäft abgewickelt wird. Das ist zwar ein weiterer Rückgang, allerdings findet sich auch der gegenläufige Trend. In Großstädten öffnen wieder mehr kleine Buchländen: Dort kann man in Ruhe das Richtige suchen, sie sind Orte der Begegnung. Auch die Medienpoints des Kulturrings, viele Bibliotheken und Bücherstuben laden zu Begegnungen ein. Oft werden dort liebevoll Ausstellungen gestaltet und Begleitprogramme geboten. Gerade werde ich neugierig auf Georg Büchner, schließlich begehen wir seinen 200. Geburtstag. „Dantons Tod“, „Woyzeck“ oder „Lenz“ – ich weiß noch nicht, wofür ich mich entscheide. Ich lese, er würde sich selbst auch nicht erklären können: „Das Verstande ist das Tote, nur das Unverstande lebt und lockt.“ Und weiter, Büchner passe in kein Museum, „noch lockt und lebt er“. Er starb mit 23, und er lebt noch heute – ist das nicht genial?

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