Lange Nacht der Bilder – ein Rückblick

Astrid Lehmann, Antje Mann, Ingo Knechtel

217 Orte – mehr als 1500 Künstler, wahrlich ein Mammutprogramm, das am 14. September, bis hinein in den 15., unzählige Kunstinteressenten nicht nur aus Lichtenberg und Friedrichshain-Kreuzberg anzog. Einige Impressionen von diesem Tag sollen dem Leser ein Event nahe bringen, das seinesgleichen in der Berliner Kunstszene sucht. Das wird einmal mehr deutlich, blickt man auf die Berlin Art Week einige Tage später. Die Lange Nacht der Bilder in zwei Berliner Bezirken war etwas anderes. Gedacht war sie weder als Kunstschau mit prominenten Namen noch als Kunstmesse. Sie wollte all jene zusammenführen, die sonst nicht in Hochglanzbroschüren oder Kunstmagazinen zu finden sind, deren „Marktwert“ ihnen nicht das Wichtigste ist, die aber etwas zu sagen haben, die den Dialog mit dem Publikum möglichst ganz direkt suchen und die auch Ungewöhnliches oder Außergewöhnliches zeigen wollten. Und da sollte es völlig egal sein, ob es Profis oder Laien waren, ob die Kunst zur Schau gestellt, oder ob Interaktives, ob Mitwirkung gefragt war. In beiden Bezirken fanden sich an jenem Wochenende (und nicht nur an diesem) über 200 Leuchttürme der Kunst und Kultur. Sie ließen die lebendige Kiezkultur erstrahlen. Diese dezentrale Vielfalt in unserer Hauptstadt ist eine wunderbare Ergänzung zu den Leuchttürmen der Hochkultur, sie zeigte sich als eine nicht unwichtige Säule für die Attraktivität Berlins – für die Berliner und ihre Gäste gleichermaßen. Und sie präsentierte sich als eine Quelle für die eigene Lust am Mitmachen, für eine Entdeckungsreise in die eigene Kreativität. Und was ebenso schön war: dies war kein Event der Bildenden Kunst allein. Das Interdisziplinäre, das Cross-Over, bestimmte in vielen der teilnehmenden Einrichtungen den Erfolg des Abends. Die Kunst wurde flankiert von Musik, Literatur, Theaterspiel, von Performances und vielem anderen. Für manch eine Amtsstube schwer nachzuvollziehen, erobern Kunst und Künstler wenigstens zeitweilig auch sehr ungewöhnliche Orte. Völlig unvollständig sollen hier einige nächtliche Impressionen stehen:

In der Alten Kapelle des evangelischen Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge begrüßte Pfarrer Winfried Böttler seine Gäste zur Eröffnung von insgesamt neun Ausstellungen auf dem Gelände des Krankenhauses. In dieser von Sonne durchfluteten Kapelle bilden Kunst und Architektur eine besondere Einheit, zu der auch die von Turley erbaute Orgel gehört, die er im Laufe der Veranstaltung zur Freude aller Besucher zum Klingen brachte. Die Kunstwerke der Ateliergemeinschaft Pinel unter Leitung von Ule Mägdefrau sind Ergebnisse der Arbeit in verschiedenen Workshops, in denen sich Pinel speziell um Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen kümmert. Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Andreas Geisel fand auch in den gezeigten Arbeiten das Motto der Langen Nacht wieder – „Lebenswelten“ – und betonte den Reiz der Verschiedenartigkeit der künstlerischen Ausdrucksformen. Für ihn ist der Bezirk in den letzten Jahren bunter geworden, dank des Zuzugs von jungen Familien, aber auch von Kreativen, die mit ihren Ideen und Projekten die Lebenswelt der Lichtenberger bereichern. Diesen Prozess, so Geisel, hat die Lange Nacht der Bilder nun bereits über sechs Jahre nicht nur begleitet, sondern positiv beeinflusst. Im Krankenhauspark versammelte sich derweil eine Besucherschar von etwa 130 Personen um das Rondell in Erwartung des Theaterparcours, Shakespeares „Sommernachtstraum“ unter der Regie von Juliane Meyerhoff. Tabea Junge vom Museum Kesselhaus schrieb per SMS: „Es war ein gelungener Tag von A-Z“. In der Cafeteria des KEH stellte auch Carola Frentrup Landschaftsbilder und Stadtansichten aus. Seit der ersten Langen Nacht ist sie eine treue Mitstreiterin und freut sich immer auf die Begegnungen mit den Besuchern. Es sind an diesem Nachmittag Patienten und ihre Angehörigen auf dem Weg zur Cafeteria. Das Ins-Gespräch-Kommen mit zunächst Fremden, die sich für ihre Kunst interessieren, ist für Carola Frentrup Ansporn und Freude zugleich. Einige Besucher, meint sie, würden sich beim Anblick der Bilder an die dargestellten Orte erinnern, andere interessiert die Malweise und wiederum andere erzählen von dem, was sie im Alltag bewegt. Diese Gespräche, sagt die Künstlerin, sind das, was sie mag und mit manchen Gesprächspartnern ist sie heute noch in Kontakt.

Unweit des Krankenhaus-Geländes, in der „Fahrbereitschaft von Haubrok“ stellte der in den Niederlanden geborene Künstler Johnny Kortlever aus. Gentrifizierung und Verdrängung sind seine Themen. Seine fahrbare Installation „Berlin 2.0, Stadt in Bewegung in Berlin“, hergestellt aus Materialien von Baustellen, wo aktuell Mieterverdrängung und Luxussanierungen stattfinden, hat die geplante Reise durch Berlin und ins Umland, als Symbol für den sich ausbreitenden Verdrängungsprozess, gut überstanden. Es ist kaum zu glauben, dass das eingebaute Fensterglas dabei nicht zu Bruch gegangen ist. Auch im Bahnhof Lichtenberg ging im wahrsten Sinne die Post in Sachen Kunst ab. Um 21.30 Uhr waren ca. 100 Gäste vor Ort und widmeten sich der Ausstellung einer Gruppe junger Fotokünstler, die sich in ihren Bildern mit zwischenmenschlicher Nähe und urbaner Anonymität beschäftigen. Das Museum Lichtenberg im Stadthaus in der Türrschmidtstraße verzeichnete bei der Ausstellung „Friedemann und Schüler“ bereits gegen 22 Uhr ca. 180 Gäste, mehr als je zuvor bei einer Langen Nacht. Andere Orte in der Victoriastadt waren äußerst zufrieden mit der Resonanz der Besucher.

Gleiches konnten die Organisatoren im Studio Bildende Kunst vermelden: An die 100 Kunstgänger und Musikliebhaber, unter ihnen der Kulturring-Vorsitzende Dr. Gerhard Schewe, genossen openair und in entspannter, sommerabendlicher Atmosphäre die ausgestellte Kunst und die Klänge des Susanne-Grimm-Quintets mit einem einfühlsamen Programm aus Swing und Jazz. In der Sozialkasse des Baugewerbes drängten sich ca. 75 Besucher, und auch der Chef des AWO-Margaretentreffs Janos Pettendi war begeistert über die Besucherresonanz, besonders über den Zuspruch von internationalen Gästen (Australier, Engländer, Franzosen). Die Villa Kuriosum in der Scheffelstraße ist im Dunkeln gar nicht so einfach zu finden. Die Künstler haben Lichtschläuche, Kerzen und Äpfel als Markierungen und Wegweiser zu ihren Kunstwerken im Garten genutzt. Manches an Kunst ist in Bauwagen untergebracht, oft skurril und witzig anzusehen. Auch eine Geschichtenerzählerin in ihrem „Wunder-Wagen“ ist dabei. Der Garten wirkt verwunschen und ist bei Tageslicht sicher eine Oase zwischen Wohnbauten und den Gleisen der S-Bahn.

Grandios war die Aussicht von der Panorama-Lounge der Tanzschule „TanzZwiet“ am Strausberger Platz. Die Eröffnungsgrüße des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg überbrachte Stadtrat Knut Mildner-Spindler. Er konnte sich über eine Verdoppelung der Teilnehmer aus seinem Bezirk freuen und würdigte das große Engagement aller Beteiligten. Begeisterung löste eine Tanzperformance aus; Hoffnungen und Wünsche begleiteten die Gastgeberin Susanne Rinnert, deren Petition für den Erhalt der gefährdeten Tanzschule an diesem attraktiven Standort viele Besucher unterschrieben. Der TanzZwiet droht im 20. Jahr das AUS, wenn Berlins Kunstmäzen Christian Boros mit seiner Mieterhöhung um mehr als 60% Erfolg hat!In der Fotogalerie Friedrichshain tummelte sich jede Menge Publikum. Schon von weitem war das Fotokunstlabor schwarzekatze/weisserkater zu sehen. Die Akteure ermöglichten ein besonderes Shooting – Postkarte konnte man gleich mitnehmen – vor interessanter Kulisse. Ab 20 Uhr wurde es richtig voll: Erstmalig sollte Rockmusiker Dirk Zöllner solo mit einem accoustic Set auftreten. Das Publikum sang mit, der große Raum der Fotogalerie war in Bewegung, Fotografen hockten, knieten und suchten die besten Positionen für ein tolles Bild. Das war Spitze. Auch Werkstatttraum unweit der Oranienstraße war gut besucht, mit DJ, Live-Musik, Grillen und Cocktails, auch am LockDock waren viele Besucher, und auch hier gab es Programm.

Dann das RAW Tempel – mit Banner als Teilnehmer der LNdB gut zu erkennen, war es ein wahrer Partyort. Praktisch alle Gebäude waren offen, boten Einblicke in Ateliers, man konnte Künstlern über die Schulter schauen und verschiedenste Präsentationen genießen. Auch das Theater „Ratten 07“, Live-Musik und Lesungen zogen das Publikum an. Auf dem gesamten Gelände befanden sich Partyzelte, wurde mit Speisen und Getränken versorgt, es herrschte eine ausgelassene Stimmung. An Besuchern hat es wahrhaftig nicht gefehlt. Im Lazarus-Haus der Ev. Kirchgemeinde St. Markus waren Collagen von Mal-Heure sowie Fotos von Susanne Leibold zu sehen. Bevor man in den Kirchensaal kam, durchquerte man einen kleinen Garten. Die Klangskulptur – ein trojanisches Klangpferd von Manfred Krupp und kurze musikalische Aufführungen verschiedener Künstler lockten an. Tolle, sehr „anheimelnde“ Atmosphäre ... So oder ähnlich werden uns wohl noch weitere Berichte in den kommenden Tagen erreichen. Viele der Organisatoren wollen auch einiges verbessern, ebenso das Kulturring-Team. Der Verein plant und hofft für 2014!

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