Das Projekt SilesiaTopia

Marie Rolshoven

Am 6. September 2013 wurde die Ausstellung SilesiaTopia in der Kunsthalle der Staatlichen Akademie der Künste/Galeria Rondo Sztuki in Katowice eröffnet. Zehn Künstlerinnen zeigten hier bis zum 26. September ihre Werke: Claudia Hajek, Doris Hinzen-Röhrig, Georgia Krawiec, Kasia Kujawska-Murphy, Ute Lindner, Katarzyna Łyszkowska, Joanna Nowicka, Jani Pietsch, Karina Schönthaler Pośpiech und Mona Tusz. Die Gemeinschaftsausstellung SilesiaTopia war das Ergebnis eines zweijährigen deutsch-polnischen Künstlerinnenaustausches. Nach gemeinsamen Workshops, gegenseitigen Besuchen, Austausch von Geschichte(n) und Diskussionen in deutscher, polnischer und englischer Sprache traten jetzt in Katowice erstmals die Kunstwerke in Kommunikation, formuliert über Malerei, Fotografie, Videokunst und Installationen. Roter Faden der Gemeinschaftsausstellung ist die tabuisierte deutsch-polnische Geschichte am Beispiel der Region Oberschlesiens.

Die Initiatorin des Projektes, Karina Schönthaler Pośpiech (*1961), eine in Berlin lebende Künstlerin mit polnisch-deutschen Wurzeln, konnte für das 2011 begonnene Projekt polnische und deutsche Künstlerinnen gewinnen, die in ihren Biografien mit beiden Ländern verknüpft sind. Eine von ihnen ist die 1972 in Polen geborene Fotokünstlerin Georgia Krawiec. Das Thema ihrer Installation „Dichotomie der Nester – Schlesische Porträts von hier und drüben“ ist die massive Auswanderungswelle von Schlesiern seit den 1970er Jahren. Nach jahrelanger Antragstellung erhielt ihre Familie 1988 die Ausreiseerlaubnis in die Bundesrepublik Deutschland. Für ihre Installation hatte Krawiec aus Schlesien stammende und durch die deutsch-polnische Grenze getrennte Geschwisterpaare aufgesucht und mit einer Lochbildkamera porträtiert. Deren Einsamkeit – auf beiden Seiten der Grenze – wird für die Ausstellungsbesucher erfahrbar, wenn sie durch die von der Decke der Galerie herabhängenden Guckkästen schauen. Die Guckkästen sind paarweise arrangiert und durch eine Art Mobile verbunden. Durch jeden Guckkasten sieht der Besucher einen Stuhl in einer Küche, auf dem jeweils ein Teil des Geschwisterpaares Platz genommen hat. In dem anderen Guckkasten erkennt er das dazu passende und gleichsam fehlende Geschwisterpendant. Der Blick in die Küchen der Protagonisten hebt den Besucher aus der Galeriesituation heraus und taucht ihn ein in die intime Welt der getrennten Geschwisterpaare; ein Effekt, der durch die dreidimensionale Perspektive der Fotografie noch verstärkt wird. Eine beeindruckende Arbeit, die auch fünf der abgebildeten Protagonisten, die für die Vernissage aus Opole angereist sind, begeisterte.

Über 80 Besucher kamen an diesem Abend zur Ausstellungseröffnung. Mit dabei waren auch drei Vertreter der jüdischen Gemeinde Katowice und die beiden Enkeltöchter von Marta Kapitza: Lucyna Mazurkiewic und Urszula Wąsik aus dem Nachbarort Zabrze. In der Installation „Jüdisches Kinderheim Zabrze – wechselnde Identitäten“ der Berliner Künstlerin Jani Pietsch (*1947) entdeckten sie voller Freude das Fotoporträt von David Danielski. Es war ihre Großmutter Marta Kapitza, die den damals neunjährigen David fast vier Jahre in ihrer Familie versteckte, als seine Eltern und die gesamte jüdische Gemeinde von Rybnik in einer Nacht im Frühjahr 1942 deportiert wurden. Heute lebt David Danielski in Israel, wo Jani Pietsch ihn zu einem Videointerview getroffen hat.Die Arbeit zur Installation „Jüdisches Kinderheim Zabre – wechselnde Identitäten“ nahm ihren Anfang mit einem Album, das Jani Pietsch im Archiv des Museums der Ghettokämpfer in Israel fand. Das Album enthält Fotoporträts von 196 jüdisch-polnischen Kindern, die den Holocaust überlebten, weil polnische Katholiken sie vor den Deutschen versteckt hatten. Die Fotos wurden zwischen 1946 und 1949 in Oberschlesien aufgenommen. Unmittelbar nach Kriegsende machte es sich der polnische Captain Yeshayahu Drucker zur Aufgabe, diese Kinder zu finden. Im Transit des Jüdischen Kinderheims in Zabrze kehrte ihre jüdische Identität zu ihnen zurück – gleichzeitig mit dem Trauma, die einzigen Überlebenden ihrer Familie zu sein. Mit einem Haus aus Pappkartons, in welchem die Fotoporträts der 196 Heimkinder platziert sind, symbolisiert Jani Pietsch die äußere Sicherheit, die Übergangssituation, aber auch die Verlassenheit und innere Verletzlichkeit dieser Kinder. Auf einem Monitor im Innern der Installation berichten David Danielski sowie Fela Kożuch und Roma Głowińska, zwei weitere, heute ebenfalls in Israel beheimatete Protagonisten, von ihrem Überleben in Polen. Fela Kożuch hatte als Sechsjährige die Auslöschung des Warschauer Ghettos erlebt, Roma Głowińska war mit ihrer Kusine aus dem Ghetto von Sandomierz geflohen.

Mit den Verbrechen der Nationalsozialisten an der polnischen Bevölkerung setzt sich auch die Installations- und Videokünstlerin Katarzyna Łyszkowska (*1981) aus Olsztyn auseinander. Über 220.000 Kindern wurde im Rahmen des NS-Lebensborn-Programms ihre Identität geraubt. Da die Künstlerin, wie sie selbst sagt, keine logische Erklärung für diese Tragödie finden kann, flüchtet sie sich in eine mythische Projektion. Entstanden ist ein fesselnder Mix aus Foto-, Video- und Soundmontagen: Historisches Schwarz-Weiß-Bildmaterial aus den Lebensborn-Kinderheimen trifft fiktiv auf die sagenhafte Hexe Pschepolnitza, die hier symbolisch auf Kinderfang geht.

Gemeinsam haben die zehn Künstlerinnen eine großartige, bewegende Ausstellung ins Leben gerufen, die das deutsch-polnische Trauma von Vertreibung und Ermordung sowie Trennung und Armut auf sensible und gleichzeitig originelle Art und Weise verarbeitet. Es ist zu hoffen, dass die gelungene Ausstellung mit ihrer historisch wie politisch auch zukünftig drängenden Thematik eine breite Aufmerksamkeit erfährt. Weitere Ausstellungsorte in Polen und Berlin sind bereits in Planung.

www.silesiatopia.de

Die Autorin arbeitet für den Kulturring in Berlin e.V. im Projekt „Wir waren Nachbarn – 145 Biografien jüdischer Zeitzeugen“ im Rathaus Schöneberg mit.

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