„... und alles wegen der Liebe“

I.K.

Liebesgeschichten ohne Happy End, könnte man sagen. Schicksale breiten sich vor uns aus, wenn auch in Aktenform. Nur langsam erscheinen dahinter die Menschen, das was ihnen widerfahren ist. Und dann merkt man: es sind weit mehr als nur Liebesgeschichten, einzelne Schicksale. Es spiegeln sich darin Verbrechen, Leid und Verderben aber auch Hoffnung und Überlebenswillen wider. Seit mehreren Jahren beschäftigen sich Mitarbeiter des Kulturrings mit der Verfolgung von Homosexuellen. Ihr Schwerpunkt lag auf der NS-Zeit, aber die Linien der Verfolgung gehen darüber hinaus, reichen – wie wir alle wissen – bis in die jüngste Vergangenheit. Selbst im Heute ist Verfolgung und Inhaftierung, sind Anfeindungen nicht überall überwunden. In Russland dürfte solch ein Artikel wahrscheinlich gar nicht erscheinen. Dass auch dies einmal anders wird, ist eines der Ziele einer Ausstellung, die der Kulturring im Rathaus Charlottenburg in der Otto-Suhr-Allee vom 27.8. bis 2.10. zeigt. Sie war zuvor schon im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags, in der Akademie der Künste, im Brandenburger Landtag und als Wanderausstellung in mehreren Bundesländern zu sehen. Zuletzt wurde sie 2011 durch Tafeln erweitert, die den Bezirk Spandau von Berlin betreffen. Die Ausstellung im Spandauer Rathaus fand große Beachtung. Nunmehr konnten im Rahmen eines speziellen Projekts Forschungen zu homosexuellen Schicksalen aus dem heutigen Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf durchgeführt werden, deren Ergebnisse sich auf weiteren Tafeln finden. Sie werden erstmalig in dieser Ausstellung im Rathaus Charlottenburg der Öffentlichkeit vorgestellt. Im Folgenden lesen wir von zwei besonders tragischen Fällen ...

 

Dr. Carola Gerlach / Bernd Grünheid:

RICHARD SCHULTZ geboren am 13.2.1889 in Rhena, Mecklenburg, verstorben am 8.4.1977 in Tübingen-Bebenhausen

Die Liebesgeschichte zwischen dem welterfahrenen Richard Schultz und dem jungen Hans-Theodor Spann entsteht aus der Sehnsucht, auch in der Zeit größter Bedrohung eine Insel zu finden, in der normales Leben möglich ist. Als die beiden Männer sich im Sommer 1938 kennenlernen, hat Richard Schultz, der als Chef de rang im Hotel Bristol arbeitet, in seiner Charlottenburger Wohnung in der Fredericiastraße 5a einen großen Freundeskreis um sich geschart, der die „Gemeinschaft der Eigenen“ von Adolf Brand nach ihrer Zerschlagung fortführt. In der Zeit der Razzien, Hausdurchsuchungen und Massenprozesse gegen Homosexuelle trifft Schultz enge Sicherheitsvorkehrungen, verbannt geliebte Fotos und Insignien schwuler Kultur, schwört die Freunde auf Anonymität ein. Es entsteht ein enges Netzwerk des Vertrauens, das die Gegnerschaft zum Staat einbegreift. Manche Männer und Frauen aus dem Kreis versuchen sich anzupassen, sie heiraten, treten in die NSDAP ein. Richard Schultz geht einen anderen Weg. Als er sich in Hans-Theodor Spann verliebt, geht er das Wagnis ein, teilt ihm die Geheimnisse seines jetzigen Lebens mit, zu dem nun auch Spanns Mutter Else und die Schwester Dorothea gehören. Gemeinsam genießen sie die „jours fixes“ bei Schultz, die kleinen Reisen und Ausflüge. Richard Schultz hat sich in seiner Menschenkenntnis nicht getäuscht. Hans-Theodor Spann verrät nichts, auch als er 1939 mit ein paar Freunden in ein Strafverfahren wegen „bündischer und homosexueller Umtriebe“ gerät. Er widersteht dem Druck der Gestapo-Verhöre und bestreitet energisch, „mit einem Herrn, etwa 45 Jahre alt, sehr intellektuell, mit Brille“ im Beethovensaal der Philharmonie gewesen zu sein. Durch seinen Mut bleiben Schultz und sein Kreis außer Verdacht. Spann selbst muss für sechs Monate ins Gefängnis, er verliert seine bürgerliche Existenz als Stadtsekretär, wird aus dem Beamtenbund und anderen Organisationen ausgeschlossen und arbeitet nach seiner Entlassung in einem Stoffladen. 1942 wird er eingezogen, bleibt aber vorerst noch in Reichweite seiner großen Liebe. Im Februar 1944 muss er an die Ostfront. Dort verliert er sein Leben, mit gerade 28 Jahren. Zurück bleiben die Liebesbriefe und die Erinnerung. Richard Schultz überlebt im zerstörten Berlin. Er arbeitet von 1947-1951 im Club der Kulturschaffenden in der Jägerstraße 2 und organisiert mit kargen Mitteln die Treffen der künstlerischen Elite, die aus der Emigration zurückkehrt. In den 1950er Jahren engagiert er sich in der Schwulenbewegung der Nachkriegszeit. Sie scheitert. Homosexualität bleibt verboten, und die geheimen Treffs bei Richard Schultz sind wieder gefragt. Sie heißen jetzt „Literarischer Salon“.

WALTER BOLDES, geb. am 13.8.1898 in Breslau, hingerichtet am 14.12.1942 in Plötzensee, Lagerist.

Walter Boldes ist ein lebenslustiger Mensch. Trotz ständiger Verfolgung als homosexueller Jude nimmt er, so gut es geht, aktiv am gesellschaftlichen Leben teil, ist beliebt bei seinen Nachbarn, organisiert kleine Parties. Niemand verrät ihn. 1940 lernt er den 10 Jahre jüngeren Paul Küster kennen, bietet seine Wohnung in der Wallnertheaterstraße 19 Berlin-Mitte für die Nacht an. Beide freunden sich mit Wilhelm Finger an. Die Männer treffen sich regelmäßig bei Boldes, gehen ins Kino, ins Café, in die Scala. Im Februar 1941 wird Küster eingezogen, entschließt sich jedoch wenige Monate später, nicht mehr in die Kaserne zurückzukehren. Boldes unterstützt ihn, so gut er kann. Am 18.2.42 wird Küster inhaftiert. Im Verhör gibt er den Namen seiner beiden Freunde und die homosexuelle Beziehung preis. Am 19. Mai 1942 wird Paul Küster in Brandenburg/Görden hingerichtet.Noch im Februar 1942 wird Walter Boldes festgenommen. Die 7. Strafkammer beim Landgericht Berlin verurteilt ihn am 2.7.1942 wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode: „Der Angeklagte war ein homosexuell veranlagter Jude, der den Judenstern nicht trug ... Wenn ein solcher Jude sich mit einem deutschen Soldaten einlässt und ihn verborgen hält,... so bedarf es keiner näheren Begründung... Das Verbrechen ... war daher mit dem Tode zu sühnen.“ Das Revisionsverfahren durch das Reichsgericht bestätigt das Urteil, Walter Boldes wird am 14.12.1942 in Plötzensee hingerichtet.

In der Zeit des Nationalsozialismus waren mehr als 700 homosexuelle Männer im Strafgefängnis Plötzensee in Untersuchungshaft oder in Strafhaft, 30 von ihnen wurden hingerichtet.

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