18 / 19 Der Krieg nach dem Krieg / Das empfehlenswerte historische Buch zum 100. Gedenkjahr

Hanno Schult

Runde historische Gedenkjahre werden in der Regel nicht nur von Historikern gerne als Marketing-Instrument genutzt, um neuere Forschungsergebnisse und Interpretationen zu historischen Ereignissen einem interessierten Leserkreis zu präsentieren, sondern diese bieten auch einer interdisziplinär ausgerichteten schreibenden Zunft oft die Möglichkeit, den Rohstoff Geschichte zu bearbeiten, um diesen dann im populärwissenschaftlichen Rahmen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Genau in dieses Genre fällt die neueste Arbeit des Historikers, Publizisten und Rhetorikers Andreas Platthaus zum Krieg nach dem Kriege im besiegten und von revolutionären Umbrüchen erschütterten Deutschen Reich der Jahre 1918/19. Dies geschah auch in klarer Abgrenzung zur Erinnerungskultur und dem kollektiven Gedächtnis der europäischen Sieger von 1918, wie Frankreich, Belgien und Großbritannien, wo an den 100. Jahrestag des Waffenstillstandes von 1918 traditionell auch 2018 als Tag des Sieges sowohl auf staatlicher als auch lokaler Ebene mit zahlreichen Gedenkveranstaltungen erinnert wurde.

Der Autor hat seine Arbeit in drei Teile gegliedert und diese wiederum in 13 Kapitel unterteilt, in denen er versucht, einen multiperspektivischen Blick auf dieses Schicksalsjahr der europäischen und deutschen Geschichte zu konstruieren. Indem er viele Zeitzeugen aus verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens zu Wort kommen lässt und so ein recht vielfältiges Wahrnehmungsprofil schafft, das weit über die Motive der weltpolitischen Entscheidungsträger hinausgeht und die ja so oft allein von einer stark medial beeinflussten Öffentlichkeit im Zeitalter des ersten Totalen Krieges auch so wahrgenommen wurden.

So beschreibt der Autor die Endphase des Krieges als einen Krieg, in dem das Wort und ergänzend natürlich auch das Bild als Waffe genau so wichtig wurden wie die alleinige Ausübung physischer Gewalt. Er zeigt dies exemplarisch z.B. am Vater des Pazifismus in der Bildenden Kunst in Deutschland – Otto Dix – und seinen Werken sowie der Verherrlichung des Patriotismus in Propagandapostkarten auf der französischen Seite der Front. Die fehlende politische Reife der Deutschen und deren partei -und klassengebundenes partikularisches Denken stehen dann auch Pate bei den Vorverhandlungen zum Waffenstillstand von Compiègne 1918 und den mehrfachen Verlängerungen desselben bis hin zur endgültigen Unterzeichnung des Versailler Friedensdiktates im Juni 1919. Dass es sich bei diesem wirklich um ein Deutschland aufgezwungenes Diktat handelte, beschreibt der Autor in seiner ganzen Tragik. Denn über die Friedensbedingungen wollten die Sieger des Krieges in blinder Machtvollkommenheit nicht verhandeln, und der deutschen Delegation blieb in einem schmalen Zeitfenster zwischen Mai und Juni 1919 nur die Wahl zwischen Annahme und Ablehnung. Und dies alles in einem von revolutionären Wirren zerrissenen Land, in dem sich auch die wirtschaftliche Lage täglich verschlechterte, nicht zuletzt auch verursacht durch die Aufrechterhaltung der alliierten Wirtschaftsblockade. Jetzt rächte sich bitter, was schon der „Eiserne Kanzler“ Otto von Bismarck am deutschen Verfassungsleben des Kaiserreiches oft kritisierte, nämlich das Primat von parteigebundenen Klasseninteressen in der Innenpolitik vor der Außenpolitik und dem oft diffusen Zick-Zack-Kurs des Wilhelminischen Reiches.

Dass es beim französischen „Erbfeind“ genau anders gewesen ist, stellt der Autor beispielhaft an der Person des französischen Ministerpräsidenten – des „Tigers“ Georges Clemenceau –dar, der maßgeblich an der unversöhnlichen Haltung gegenüber der deutschen Friedensdelegation die Schuld trägt und deren naiven Glauben an die Gerechtigkeit des 14-Punkte-Programms des amerikanischen „Friedensapostels“ Woodrow Wilson. So wurde aus einem Versöhnungsfrieden ein Siegfrieden, auch weil die Interessenkonvergenz der großen vier Siegermächte als Grundlage gemeinsamen Handelns im Frühsommer 1919 nicht mehr gegeben war, und dies trotz aller vor allem medial nach außen hin zur Schau getragenen Einigkeit. Die bewusste öffentliche Demütigung des Besiegten war dann ein weiterer Fehler, mit weitreichenden Konsequenzen für eine dauerhafte europäische Friedensordnung.

Einen interessanten Einblick in die Wahrnehmung dieses welthistorischen Umbruchjahres aus der Sicht maßgeblicher Persönlichkeiten aus Wissenschaft und den Medien gewährt uns der Autor, indem er die Tagebücher und Notizen der Kosmopoliten Albert Einstein und Theodor Wolff (Herausgeber des Berliner Tageblattes) wieder lebendig werden lässt. Die Bedeutung der Kriegsschuldthese in Paragraphenform „verewigt“, beschreibt A. Plattenhaus genauso treffend wie viele andere selektiv ausgewählte und oft kuriose Bestimmungen des Friedenswerkes. Ergänzt wird seine interessante Arbeit durch zahlreiche Anmerkungen als Quellenverknüpfungen im Anhang und ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie einige Karten zur politischen Landkarte Europas vor und nach dem Großen Kriege. Ein Personenverzeichnis und ein Bildnachweis runden seine Arbeit vorteilhaft ab.

Auch für den Kulturring in Berlin e.V. soll das Gedenkjahr Anlass sein, mit einigen Veranstaltungen 2019 im Studio Bildende Kunst einen entsprechenden Beitrag zur historischen Bildungsarbeit zu leisten. Dabei werden zum Beispiel Erinnerungsorte und die Erinnerungskultur in Frankreich und Belgien 100 Jahre nach dem Großen Krieg ebenso vorgestellt wie die Auswirkungen der Novemberrevolution am Beispiel der „Lichtenberger Blutwoche“ im März 1919 und hier auf lokaler Ebene. Alle an lebendiger Geschichte Interessierten sind dazu herzlich eingeladen. Das Buch zum 100. Gedenkjahr ist erschienen im Rohwolt Verlag Berlin / März 2018, gebunden 444 Seiten mit zahlreichen zeitgenössischen Fotos zum Preis von 26,00 €.
Andreas Platthaus: „18 / 19 Der Krieg nach dem Krieg, Deutschland zwischen Revolution und Versailles“

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