Gegen das Vergessen – „Holocaust of Books“

Henning Hamann

Bücher haben mich schon immer fasziniert, und noch heute tue ich mich schwer damit, mir vorzustellen, wie Bücher einfach auf dem braunen Scheiterhaufen der Geschichte vernichtet wurden. Wie sagte Heinrich Heine seinem Protagonisten Hassan in dem Trauerspiel „Almansor“ aus dem Jahr 1820: „Das war ein Vorspiel nur. Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Selbiges verwirklichte sich wenig mehr als hundert Jahre später ausgerechnet in Deutschland. Feuersprüche begleiteten die unfassbaren Hinrichtungen geistiger Werte auch im Zentrum Berlins:

„Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.“

„Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges, für Erziehung des Volkes im Geist der Wahrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque.“

„Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe der Flamme die Schriften des Sigmund Freud.“Nur drei Beispiele der Propaganda-Maschinerie der Nazis, die vor 80 Jahren am 10. Mai 1933 in Berlin und weiteren Universitätsstädten ihren Anfang nahm. Ein „Holocaust of Books“, wie die amerikanische Illustrierte „Newsweek“ damals schrieb. Von Berlin über Königsberg bis Bonn und von Kiel bis München – in fast allen Universitätsstädten wurden die Scheiterhaufen erbarmungslos gefüttert. Die wohl bekanntesten Opfer für in den Augen national und konservativ orientierter Literaturkritiken nicht akzeptable Bücher waren:

Karl Marx, Das Kapital; Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur; Kurt Tucholsky, Rheinsberg; Heinrich Mann, Der Untertan; Bertolt Brecht, Die Dreigroschenoper; Ernest Hemingway, In einem anderen Land; Egon Erwin Kisch, Der rasende Reporter; Jack London, Martin Eden; Joachim Ringelnatz, Gedichte; Anna Seghers, Aufstand der Fischer von St. Barbara; Bertha von Suttner, Die Waffen nieder; B. Traven, Der Karren; Rosa Luxemburg, Briefe aus dem Gefängnis; John Reed, Zehn Tage, die die Welt erschütterten; George Grosz, Das neue Gesicht der herrschenden Klasse; August Bebel, Die Frau und der Sozialismus; Rudolf Hilferding, Das Finanzkapital; Erich Kästner; Siegfried Kracauer, Die Angestellten; Karl Liebknecht, Klassenkampf gegen den Krieg; Fritz Naphtali, Wirtschaftsdemokratie.

Wie sagte der Reichspropagandaleiter der NSDAP und Gauleiter von Berlin, Joseph Goebbels, am 10. Mai 1933 in Berlin: „Meine Kommilitonen! Deutsche Männer und Frauen! Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist nun zu Ende, und der Durchbruch der deutschen Revolution hat auch dem deutschen Wesen wieder die Gasse freigemacht“.

Eine Gasse ja, aber eine finstere Sackgasse beispielloser übelster Vernichtung geistigen Schaffens mit bekanntem Ende.

Grund genug für den MedienPoint Tempelhof, in einer kleinen Ausstellung unter dem Titel: 80 Jahre Bücherverbrennungen in Deutschland, den räumlichen Gegebenheiten angepasst, mit Bildern, Collagen, Listen und einer Buchauswahl auf dieses Datum hinzuweisen und zum Nachdenken über die zerstörte Vielfalt anzuregen.

Ausstellung im MedienPoint Tempelhof vom 29. April – 17. Mai 2013, Mo-Fr 9-15 Uhr, außer 10. Mai

Die zwölf Thesen „Wider den undeutschen Geist“ (Flugblatt vom 12. April 1933) fassten die Positionen und Ziele der „Aktion“ zusammen und prangerten die jüdischen, sozialdemokratischen und liberalen Ideen und ihre Vertreter an. Sie wurden in roter Frakturschrift in deutschen Universitäten plakatiert und von vielen Zeitungen veröffentlicht. Der Leiter des reichsweiten Kampfausschusses wider den undeutschen Geist war Paul Karl Schmidt. Die örtlichen „Kampfausschüsse“ sollten als Speerspitze der Studentenschaft gegen den „jüdischen Intellektualismus“ handeln. Schmidt war für das Plakat und die 12 Thesen verantwortlich; seine Rolle beim Kampfausschuss befähigte ihn für seine spätere antijüdische Kriegspropaganda als Pressechef im Auswärtigen Amt und seine noch spätere (nach 1945) journalistische Tätigkeit. (Quelle: Wikipedia)

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