Kulturnetzwerk im Sprengelkiez

Sebastian Wagner

Der Sprengelkiez liegt etwas am Rande des Herzens des Berliner Wedding. Er grenzt an die Müllerstraße, das Nordufer und den Westhafen. Ein tolles Stück Berlin, aber – wie der Wedding insgesamt – nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Überdies ist er zusätzlich behaftet mit vielen Vorurteilen und einem schlechten Ruf: dreckig, gefährlich, arm. Wer den Wedding etwas besser kennt, weiß natürlich, dass dies nicht stimmt. Der Wedding ist eigen, das ist richtig, aber im besten Sinne. In der Zwischenzeit ist er auch zum Produktionsstandort für die vielen Kunst- und Kulturschaffenden dieser Stadt geworden. Zum einen, weil man im Wedding ganz gute Chancen hat, bezahlbaren Wohn- und Atelierraum zu finden, zum anderen aber auch, weil der Wedding noch immer jenseits des Berlin-Hypes liegt. Er ist ein bisschen zum Produktionsort für Kunst geworden, vielleicht das Hinterhaus der schicken Mitte-Galerien.

Ein weiterer wichtiger Charakterzug des Wedding ist seine kulturelle Dichte. Menschen aus aller Welt wohnen dort Tür an Tür. Nirgendwo in Berlin ist das Spektrum der Kulturen so breit wie hier. Dadurch hat der Wedding und insbesondere der Sprengelkiez eine tolle Nachbarschaft, die aber in der Öffentlichkeit nicht richtig wahrgenommen wird. Dieses Defizit in der Außenwirkung, aber auch nach innen (viele der Weddinger glauben ja selbst, in einem schwierigen Umfeld zu wohnen), steht den Menschen im Wedding oft selbst im Weg zu einer stärkeren Identität als Stadtteil.

Das Projekt „Kulturnetzwerk im Sprengelkiez“ befasste sich genau mit dieser Thematik. Finanziert über das Quartiersmanagement Sparrplatz, wurde über zwei Jahre intensiv an der Vernetzung von Kunst- und Kulturschaffenden gearbeitet. Darüber hinaus sollte das Projekt die hohe kulturelle Dichte des Bezirks und die Vielfältigkeit seiner Bewohner darstellen. Das natürlich nicht nur für Menschen von außerhalb, sondern auch für diejenigen, die dort wohnen. Dazu sollten adäquate Formate der Beteiligung für eine solche Präsentation entwickelt werden. Nach intensiver Recherchearbeit wurde eine Gruppe von Netzwerkteilnehmern gefunden. Diese traf sich dann, um sich über Möglichkeiten zu unterhalten und Formate zu entwickeln.Im Wesentlichen sind zwei Formate entstanden, die durchaus verschiedene Ansätze bieten: Die „Sprengelsafari“ und das „Wedding Seminar“. Die Sprengelsafari ist ein geführter Rundgang durch den Kiez zu verschiedenen Orten der Kulturproduktion, also Ateliers und Galerien. Auf den ersten Blick ist es ein Tag der offenen Tür, oder ein Rundgang, wie wir ihn aus anderen Stadtteilen und Orten kennen. Das Besondere hierbei ist, dass dieser Rundgang geführt ist. Das heißt, die Orte sind nicht die ganze Zeit über geöffnet, sondern nur für eine kurze Zeit, nämlich dann, wenn die Führung vorbei kommt. Die Aussteller nehmen an dieser Führung teil und erzählen etwas über sich und ihre Arbeit, sobald die Gruppe an ihren jeweiligen Orten angekommen ist. Üblicherweise bekommen die Galerien und Künstler, die sich an Rundgängen beteiligen, selbst nicht so viel von ihrer Umgebung mit. Sie müssen den ganzen Tag an ihrem Ort verbringen und geöffnet haben. Die Führung eignet sich daher sehr gut für die Vernetzung. Die im Kiez lebenden Künstler lernen sich hierbei gegenseitig kennen. Ein wichtiger Schritt zu einer Stärkung des Kiez-Zusammenhalts. Die „Sprengelsafari“ wurde 2011 und 2012 mit hoher Teilnehmerzahl durchgeführt.

Das „Wedding Seminar“ ist das zweite Format, das in dieser Gruppe entwickelt wurde. Dabei handelt es sich um die Darstellung der kulturellen Vielfalt. Der Grundgedanke des Projekts ist, dass viele Menschen auf einem speziellen Gebiet Expert/innen sind. Das Wissen, Können und Interesse ist vielfältig, sei es in der Freizeit oder im Beruf. Nicht nur künstlerische oder handwerkliche Fähigkeiten spielen beim „Wedding Seminar“ eine Rolle, vielmehr steht das kulturelle Wissen im Zentrum. Das Projekt geht davon aus, dass sich kulturelle Eigenheiten am besten über konkrete, gelebte Inhalte vermitteln lassen. Der spielerische Ansatz (Workshops) weckt Interesse und Neugier zu erfahren, was die Nachbar/innen machen und wofür sie sich begeistern. Im Wedding wohnen Menschen mit den verschiedensten Lebensentwürfen Tür an Tür, er ist daher der ideale Ort für kulturelle Bildung: Wenn man etwas über den Islam oder Schwarz-Weiß-Fotografie lernen möchte, kann man einfach den Nachbarn oder die Nachbarin fragen. Diese vorhandene kulturelle Vielfalt positiv erlebbar zu machen, ist der Kerngedanke des Formats. Das „Wedding Seminar“ hilft, unsere plurale Gesellschaft ganz konkret zu verstehen und verschiedene Lebensformen als wertvolle Ressource zu begreifen.

Das Projekt wurde im Jahr 2012 umgesetzt und kam im Kiez sehr gut an. Es wurden 20 Workshops angeboten, vom kamerunischen Straßentanz bis zu russischen und amerikanischen Dorfgesängen. Und alle waren gut besucht. Insgesamt stieg die Teilnehmerzahl weit über 100. Das Format wird in diesem Jahr vom Quartiersmanagement in drei kleineren Events weitergeführt. Die Finanzierung einer Wiederholung des großen Wedding Seminars ist zu diesem Zeitpunkt leider noch ungewiss. Es wurden bisher zwar einige Anträge gestellt und bei Stiftungen um Finanzierung gebeten. Bisher fehlt jedoch die Bewilligung. Aber abgesagt wurde noch nichts. Hoffen wir also darauf, dass es 2013 zu neuen Inspirationen kommt.

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