Gezeichnet: Tatiana Burghenn-Arsénie

Dr. Reinhardt Gutsche

Wenn wir in Rom oder Nîmes oder Paris als Touristen durch die Straßen schlendern, dann schweifen unsere Blicke hastig umher auf der Suche nach für unser Auge bisher Ungesehenes, Ungewohntes, Verblüffendes. Oft sind es alte Gemäuer, Häuser früherer Epochen, architektonische Zeugnisse vergangener Kulturen. Aber warum in die Ferne schweifen? Das Interessante liegt so nah. Auch hier in Berlin, buchstäblich vor der eigenen Haustür, gibt es nämlich eine Menge zu entdecken, wenn man nur mit offenen Augen und neugieriger Lust durch die Straßen geht. Das mag sich auch Tatiana Burghenn gedacht haben, als sie sich, ausgestattet mit Zeichenblock und Bleistift, auf den Weg machte, um in Berlin eben solche Kleinode aufzuspüren und mit dem Zeichenstift festzuhalten. Ein Teil ihrer künstlerischen Ausbeute ist derzeit im Rathaus Pankow zu sehen, nachdem ein anderer Teil zuvor u. a. im Theodor-Wenzel-Haus der Stephanus-Stiftung in Weißensee zu besichtigen war. Die Ausstellung trägt den Titel „gezeichnet. Pankow“ und steht unter der Schirmherrschaft des Pankower Bürgermeisters Matthias Köhne, der zusammen mit dem Kulturring-Vorsitzenden Dr. Gerhard Schewe am 17. Januar zur Vernissage in die historischen Gänge des altehrwürdigen Pankower Rathauses lud.

Zu sehen sind filigran gezeichnete Abbildungen unterschiedlicher zeichnerischer Techniken. Ob mit Reißkohle, Ölkreide, Pigmenttinte, Kohlestift, oder auch schlicht mit dem Bleistift gezeichnet, Tatiana Burghenn beweist mit diesen Arbeiten eine hohe handwerkliche Meisterschaft, wie sie unter den jüngeren Künstlergenerationen so selbstverständlich nicht mehr ist. Die Schau ist zugleich eine kleine Zeitreise durch die Berliner Baugeschichte und macht uns auf solche Kleinode aufmerksam wie die Pfarrkirche Weißensee mit dem Pistorius-Mausoleum, das Kavalierhaus in der Breite Straße aus dem Jahre 1750, eines der ältesten Pankower Baudenkmale, das Holländerhaus mit der Remise in der Dietzgenstraße (1816 und 1852), den Musikpavillon im Bürgerpark, oder die architektonischen Zeugnisse der imperialen Epoche wie der S-Bahnhof Pankow, das Jüdische Waisenhaus in der Berliner Straße, die Bethanienkirche am Mirbachpatz, das Amtsgericht Weißensee, die Brotfabrik am Caligariplatz, das Caseler-Viertel und die Industriebrache des späteren Stern-Radio Berlin, aber auch auf stumme Zeitzeugen jüngster Geschichte wie das berühmte Weißenseer Wohnhaus von Bertolt Brecht oder die Glockenstuhl-Stahlplastik in der Stephanus-Stiftung von Achim Kühn.Die Idee zu diesem Unternehmen gründet sich auf ein langjähriges Projekt des Kulturrings unter der Ägide seines Vorstandsmitgliedes Hannelore Sigbjoernsen. Zunächst als Ausstellungsbeitrag zum Pankower Bürgerpark- und Marktjubiläum 2007 gedacht, hatte Tatiana Burghenn-Arsénie den Vorschlag begeistert aufgegriffen. Die aus Rumänien stammende Künstlerin ist von Haus aus eigentlich (promovierte) Zahnmedizinerin. Aber in diesem Beruf fühlte sich die in einer bekannten Bukarester Künstlerfamilie großgewordene und daher mit Kunst von Kindheit an „infizierte“ Tatiana auf Dauer wohl nicht so recht ausgefüllt, so dass sie schließlich ihren einträglichen Brotberuf an den Nagel hängte, um sich voll dem unsicheren Wagnis einer freien Künstlerexistenz auszusetzen. Ihre bevorzugte Technik war dabei zunächst die nur noch von wenigen Künstlern beherrschte Byzantinische Ikonen- und Hinterglas-Malerei, die sie in einem orthodoxen Kloster erlernte. Ihre Arbeiten waren bisher u.a. auf mehreren KunstKreuz-Aktionen in Friedrichshain, in der Galerie „etage 2“ in Erfurt, in der Rumänischen Botschaft, im Haus Berthel in Friedrichshain und im Kunst-Café STEP in Pankow zu sehen.

Projekte wie diese verstehen sich auch erkennbar als ein Versuch, einem Trend entgegenzuwirken, der im Begriff ist, kulturell Altgewohntes und Liebgewonnenes im tradierten Berliner Alttag unter dem Furor einer unbarmherzigen Modernisierungswalze verschwinden zu lassen, seien es nun die weltberühmten Berliner Gaslaternen, die Linden „Unter den Linden“ oder gar die sprachlichen Eigenheiten des Berliner Dialekts, der sich einer Invasion schwäbischer Idioms erwehren muss... Die Arbeiten von Tatiana Burghenn-Arsénie verdienen es, etwa als Postkarten-Motive ihren Weg zu jenen Berlin-Besuchern zu finden, die sich bei ihren Streifzügen nicht auf die Touristenführer-Highlights beschränken und auf der Suche nach Schätzen im Verborgenen sind.

(„gezeichnet. Pankow - Arbeiten von Tatiana Burghenn-Arsénie“, eine Ausstellung des Bezirksamtes Pankow und des Kulturrings in Berlin e.V.; Galerie im Rathaus Pankow, Breite Straße; 18. Januar bis 30. April 2013)

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