Gemalte Lebensphilosophie – Herwig Hofmeister zum 50.

Dr. Reinhardt Gutsche

Die Kulturbund-Galerie in Baumschulenweg feiert Geburtstag, nicht ihren eigenen, sondern den des österreichischen Künstlers Herwig Hofmeister. Im Februar wird er 50 und lädt aus diesem Anlass zu einer kleinen Werkschau seiner Malerei und Zeichnungen in die Galerie im Bezirk Treptow-Köpenick.

Seit 20 Jahren lebt der 1963 in Graz geborene Künstler nun schon an der Spree und hat dort einige Spuren hinterlassen, vor allem in Treptow, wo er und seine Frau, die finnischstämmige Fotokünstlerin Aina Lappalainen, zunächst ihr Berliner Domizil aufgeschlagen hatten. „Treptower Spuren“ hieß ihr erstes gemeinsames Projekt. Seitdem hat Hofmeister nicht aufgehört, sich umtriebig nicht nur als bildender Künstler, sondern auch als Kunsthistoriker, philosophierender Laudator, Kurator, Dozent, und neuerdings Ethik- und Lebenskundelehrer zu betätigen. Mehrfach waren seine Werke auch in den Kulturring-Galerien Baumschulweg und „Studio Bildende Kunst“ zu sehen.

1963 in Graz geboren, studierte Hofmeister in seiner Heimatstadt und später in Wien Architektur. Dabei interessierten ihn in besonderer Weise die Interdependenzen und genreübergreifenden Verknüpfungen von Technisch-Handwerklichem und Künstlerischem, Technisch-Konstruktivem und Sinnlichem. Eine solch komplexe Auffassung von der Kunst sollte für sein ganzes späteres Schaffen bestimmend werden. Der Architekt muss notwendigerweise hinter der Formfassade immer das Funktionale im Blick haben. Vielleicht daher seine instinktive Neigung, hinter die Dinge zu schauen und hinter dem Schein nicht das Sein aus den Augen zu verlieren. Man kommt nicht umhin, in dieser Skepsis gegenüber dem äußerlichen Schein und dem Vordergründigen nicht nur seine Kunst-, sondern eine Lebensphilosophie zu erkennen, ein Herangehen, das er auch bewahrte, als er sich später entschloss, die Architektur aufzugeben und sich dem Bildkünstlerischen zuzuwenden. Einer wichtigen Architektentugend folgend, sich auch mental-kulturell auf den genius loci einzulassen, wo das Bauwerk entsteht, begreift Herweg Hofmeister sein künstlerisches Schaffen daher auch unverkennbar als eine eingreifend-kritische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gegenstand.

Als er sich schließlich Anfang der 1990er Jahre, dem Lockruf Berlins als dem neuen europäischen Mekka der jungen Kunst folgend, an der Spree niederlässt und hier seinen künstlerischen Lebensmittelpunkt findet, beginnt für Herwig Hofmeister zugleich eine neue Schaffensphase. Hier stieß er, wie er selber sagt, „auf eine Sehkultur, die sich aus der historischen Ästhetik des Protestantismus und der pluralistischen Bilderflut eines exzessiven Kunstmarktes speist.“ Damit ist treffend das Spannungsfeld abgesteckt, innerhalb dessen sich Hofmeisters bildkünstlerisch-kreatives, aber auch sein philosophisch-reflektierendes Schaffen bewegt. In Berlin ist dafür wohl der derzeit geeignetste „Genuis Loci" zu finden.

Er wendet sich nun verstärkt der Ölmalerei zu und entwickelt ein sehr pointiertes, an Caspar David Friedrich erinnerndes Verständnis von Naturauffassung in der Kunst. „Das Große Gehege“ steht dann daher auch dafür als Projekt-Chiffre und Schaffensphase. Das ist keine seufzende, nostalgische Verbeugung vor der Romantik, eher schon eine respektvolle Reminiszenz an die von Schelling formulierte Einsicht, „dass das höchste Verhältnis der Kunst zur Natur... dadurch erreicht ist, dass sie diese zum Medium macht“.

Auch in den zeitgleich entstandenen parareligiösen Triptycha oder seinen Bildobjekten in der meditativen Performance „Lux“ in einem früheren Berliner Luftschutzkeller ist das Streben nach Ent-Grenzung deutlich spürbar: Ein transzendentaler Drang, sich nicht mit dem materiell Naheliegenden zufriedenzugeben und dem „Nicht-Greifbaren“ Gestalt zu verleihen. Ein österreichischer Kritiker sah in diesem Herangehen eine „gemalte Lebensphilosophie“.

Wer sein Werk über Jahre verfolgt, ist immer wieder überrascht über die Rastlosigkeit und Ergiebigkeit bei dieser Suche. Aber fern jeder manieristischen Beliebigkeit hat er bei diesem Suchen nie die ästhetische Bodenhaftung verloren und lässt sich stets von der „inneren Notwendigkeit“ der Bildstruktur leiten. Er betreibe eine Malerei, so Hofmeister, „die auf den Grundwerten des jeweiligen Motivs baut und die Form als Folge der Ursache dieser Grundwerte versteht.“ Was nach tradiertem Formenverständnis als dekonstruiert, a-logisch, deformiert usw. erscheinen mag, bewegt sich daher immer noch innerhalb eines konventionell nachvollziehbaren ästhetischen Zeichenkanons. In seiner Neigung zum Spiel mit aufeinander bezogenen stilistischen oder thematischen kunst- oder motivgeschichtlichen Zitaten experimentiert Hofmeister unablässig mit Stilmitteln, Material, Formen und Farbe, um dem wohl ewigen Rätsel in der Kunst nach dem Verhältnis von Natur, Raum und Bild auf die Spur zu kommen.In Hofmeisters Schaffen nimmt dennoch das grafische Werk gegenüber der Malerei eine durchaus dominierende Stellung ein. Dabei bedient er sich mit Vorliebe klassischer Techniken, von der Grafit- und Bleistiftzeichnung über Radierung und Rohrfederzeichnung bis zum Tiefdruck. Einen Einblick davon bot er vor 12 Jahren in der viel beachteten Ausstellung „Kunst. Bücher“ in der Stadtbibliothek Adlershof. Seine Reise-Kunstbücher bewegen sich in einem mehrdimensionalen Spannungsverhältnis von Bild, Text und Architektur. Sie protokollieren die intellektuellen und sinnlichen Wahrnehmungen und Reflexionen des Reisenden Herwig Hofmeister in der kreativen Einheit von Lesen, Schreiben und Zeichnen. In diesen Skizzenbüchern verschmelzen Exzerpte von Gelesenem, tagebuchartige Reflexionen, zeichnerische Notizen und eigenständige Zeichnungen zu Reiseberichten besonderer Art. Auch die Skizzenbücher über das neue Berlin (Potsdamer Platz, Treptower Spuren) oder die Rohrfederzeichnungen mit den filigranen Pflanzen- und Lilien-Motiven zeugen von einer bemerkenswerten und heute nicht gerade selbstverständlichen handwerklichen Meisterschaft.

Das zeigte sich auch in dem 2002 hier in der Kulturbund-Galerie vorgestellten Zyklus „Inferno XXI. – Zeichnungen zur Anatomie“. Auffällig auch hier ein mutig gegentrendiger Rückgriff auf tradierte Stilmittel: Würde man eine Kiste mit unsignierten und undatierten Zeichnungen dieser Art auf Omas Dachboden finden, wäre eine prompte zeitliche Zuordnung gar nicht so einfach. Beim näheren Hinsehen jedoch erschließt sich dem Betrachter mit der Bilddramaturgie, den kompositorischen Spannungsbögen und dem signalhaften Einbau abstrakter Formeln ein kunstvolles, assoziativreiches Universum der Künstlerpersönlichkeit. Wie bei einem Palimpsest, dem griechischen Pergament, von dem die Schrift abgekratzt oder unsichtbar gemacht wird, um es neu zu beschriften, finden wir scheinbar zufällig platzierte Schriftfelder, zum Teil überschrieben, weggewischt, überschichtet, jedenfalls unlesbar. Wir wüssten gern, was der Künstler da hingekritzelt hat, sind es philosophische Betrachtungen, zufällige Tagebuchnotizen, Nachrichtenfetzen aus dem Radio oder ganz einfach nur ein grafisch gemeinter Schraffurersatz ohne verborgene Botschaft? (Neuerdings kann man dieses Verfahren auf Hofmeisters Homepage virtuell verfolgen: Fast täglich präsentiert er dort eine Art digitalen Smartphone-Blog mit hintergründig-philosophischen Anspielungen auf verfremdetem Hintergrund digitaler Fotos aus der Umwelt des Alltags.)

Bei solch einem komplexen Kunstverständnis darf das Aquarell nicht fehlen. Dass Hofmeister auch diese wohl älteste bildkünstlerische Technik glänzend beherrscht, bewies er 2006 in der Ausstellung „Glück am Rande“ im Studio Bildende Kunst des Kulturrings. Thematisch und stilistisch von der „kleinen Welt“ des Wiener Biedermeier inspiriert, wendet er sich mit diesen figurativen Etuden zum situativen Sujet im banalen Alltag, zum realistisch-poetischen Arrangement des Unscheinbar-Belanglosen. Sie sind eine verhaltene Annäherung an die Banalität des Glücks, eines Glückes am Rande eines modernen, gefühlsarmen und entfremdeten Lebens, das zumeist als solches in dessen hastigem Rhythmus und hinter seinen trügerischen Kulissen kaum mehr wahrgenommen wird.

Wie man sieht, gehört es zum Markenzeichen Herwig Hofmeisters als Künstler, sich kategorisierenden Imperativen nach Möglichkeit zu entziehen. Dies darf sowohl für die Wahl seiner Sujets und Motive gelten, seiner Techniken, seiner Affinitäten zu künstlerischen Traditionen und Inspirationen als auch auf seine Art, sich der Marktförmigkeit des modernen Kunstbetriebes unter der Diktatur der Kuratoren und Investoren zu entziehen. Kurz, Herwig Hofmeister verkörpert nach meiner Wahrnehmung über viele Jahre hinweg nachgerade eine Antithese zu Zeitgeist, Moden und apologetischem Mainstream. So wie es „Querdenker“ gibt, ist Herwig Hofmeister in diesem Sinne vielleicht ein „querliegender Künstler“. Ich denke, da liegt er vollkommen richtig. Herzlichen Glückwunsch zum 50.

„Herwig Hofmeister – 50 +. Malerei und Zeichnung“ – 11. 2. bis 28. 3. KulturbundGalerie Treptow, Ernststr. 14/16.

Archiv