Fast unbemerkt von der kunstkritischen Öffentlichkeit, war bis Mitte Dezember in der Hellersdorfer „Pyramide“ eine Ausstellung zu sehen, die als kleine Sensation zu bezeichnen nicht übertrieben wäre. Unter dem Titel „Antike Mythen in der bildenden Kunst der DDR“ wurden bislang selten zu sehende, wenn nicht unzugänglich gebliebene Werke von fast 60 Künstlern dreier Generationen gezeigt. Nach dem Erfolg seiner Exposition „Unruhig ist unser Herz - Christliche Motive in der bildenden Kunst der DDR- Auftrag und Selbstauftrag“ hat der Kunstwissenschaftler und Kurator Dr. Kuno Schumacher mit dieser neuen Schau einen weiteren speziellen Sichtwinkel auf die Kunstentwicklung in der DDR eröffnet.
Der Kulturring hatte für seine Mitarbeiter im Bundesfreiwilligen-Dienst zu einer Sonderführung nach Hellersdorf eingeladen. Was sie zu sehen bekamen, war durchaus beeindruckend, für manche unerwartet: 125 Gemälde, Grafiken und Plastiken aus öffentlichen Beständen, aber auch aus privaten Sammlungen, darunter Werke von Sieghard Pohl, Dieter Tucholke, Dagmar Ranft-Schinke, Bernhard Heisig, Heidrun Hegewald, Wiili Sitte, Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Gerd Altenbourg, Fritz Cremer, Robert Rehfeld, Arno Rink, Dieter Tucholke, Werner Tübke - ein Who is Who der DDR-Kunstgeschichte unterschiedlicher Schulen, Sensibilitäten oder politischer Positionierungen in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Kuno Schumacher verwies in seiner ebenso sachkundigen wie leidenschaftlichen Führung durch die Ausstellung auf drei Formen der Mythenrezeption in der DDR-Kunst: die Transformation tradierter Mythen in eine moderne Ikonographie, dabei die archetypischen Rollenspiele respektierend, die subjektiv absichtsvoll variierte Abwandlung des Mythos sowie schließlich dessen mehr oder weniger radikale Umwandlung in deutlich allegorischer Absicht einer kaum verhüllten gesellschaftskritischen Botschaft. „Götter und Helden, der Trojanische Krieg und die Odyssee, sowie kretische Mythen dienten zahlreichen DDR-Künstlern als Gleichnisse oder Parabeln auf die Bedingungen des Lebens in ihrer Zeit“, so Schumacher. Die häufigsten zitierten mythischen Motive in diesen lebendigen Neudeutungen der bildkräftigen mythischen Geschichten sind Paris und Prometheus, Sisyphos, Ikaros und Kassandra.
Schnell drängt sich dem Betrachter die Frage auf, in welchem Maße sich die hier bildhaft evozierten Konflikte und Mahnungen nach dem Untergang der DDR erledigt hätten. Die Antwort liegt auf der Hand: Die „Themenwahl aus Götter- und Heldengeschichten, in dem sich Hoffnungen und Enttäuschungen, Kritik und Resignation der Künstler sensibel und leise bis provokant und schrill zu brennenden Fragen der Zeit wie zur eigenen Gewissensnot äußert“, tritt dem heutigen Rezipienten aller Erfahrung nach als ungebrochen aktuell, wenn nicht verschärft entgegen. Die Kritik an wesentlichen Aspekten der DDR-Wirklichkeit erweist sich als weitergreifende Zivilisationskritik und eröffnet einen zeitlosen Blick mit europäischer, wenn nicht globaler Weite.
Alles in allem, diese Exposition war ein Kleinod in der weiß Gott nicht armen Berliner Ausstellungslandschaft, für das sich auch für einen Kunstinteressierten aus Charlottenburg der Weg nach Hellersdorf gelohnt hätte...