Das Ende des Monats September war zugleich das Ende seines regulären Berufslebens: Lutz Wunder, 1994 Mitbegründer des Kulturrings in Berlin e.V. und vom ersten Tag an Leiter des Projektbereiches Hellersdorf / Marzahn, ging in den Ruhestand, den wohlverdienten, wie man üblicherweise in diesem Zusammenhang sagt. Aber es ist kein abrupter, sondern ein eher „gleitender“ Abschied: Lutz Wunder wird als Freiwilliger und später (sofern er gewählt wird) im Vorstand weiterhin dem Kulturring die Stange halten. Insofern wird es wohl noch nichts mit dem Ruhestand – es wird wohl vorerst eher ein Unruhestand.
Etwas anderes kann sich Lutz Wunder wohl auch kaum vorstellen. Man sieht es ihm an, dass sein emsiger Einsatz für den Verein und insbesondere seinen Verantwortungsbereich mehr ist als ein bloßer Job: Es war ihm längst eine Herzensangelegenheit geworden. Jetzt von heut auf morgen nur noch den Terrassengarten pflegen oder seine Frau bei der Hausarbeit stören, das ist nichts für ihn. Dafür steckt zu viel Herzblut in den vielen Projekten, die unter seiner Ägide zum Laufen gebracht wurden.
Die Liebe zu dem, was man nicht sehr glücklich „Kulturarbeit“ nennt, hatte den gelernten Elektromechaniker schon zeitig erfasst. Auf dem Zweiten Bildungsweg (Abitur) und im Fernstudium (Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität) erwarb er sich das nötige Wissen und Handwerkszeug für seine spätere Tätigkeit, zunächst als Klubhausleiter in Biesdorf und später als Programmverantwortlicher für das gesamte Kreiskulturhaus Lichtenberg: Vom Jazz und von der Country-Musik, über Kinder-Nachmittage und Theater-Gruppen bis zum berühmten „Drushba-Fest“ im damaligen Ost-Berliner Stadtbezirk Lichtenberg und die kommunale Galerie Sophienstraße – das Programm, das er zu verantworten und mitunter auch gegen mancherlei Widerstände durchzuboxen hatte, war bunter und vielfältiger als mancher es sich heute vorstellen mag. Christiane Lapuhs, eine seiner damaligen Mitstreiterinnen, erinnert sich an „einen sehr kompetenten, kommunikativen Chef. So manche gute Idee wurde auch im ‚Biergarten vom Tarnovo’ geboren.“
Die auch in den 1980er Jahren immer noch üblichen politischen Querelen im DDR-Kulturbereich schleuderten ihn da bald wieder heraus, und er landete im Bundessekretariat des Kulturbundes, der großen DDR-Dachorganisation für eine Vielzahl kultureller Vereine, kleiner Galerien, Interessengruppen usw. Dort war er u. a. damit betraut, sich um die Förderung der Bildenden Kunst zu kümmern, d. h. die vielen kleinen Kulturbund-Galerien zu unterstützen, Kunstmappen zu editieren, Auftragsarbeiten für Bildende Künstler wie Harald Metzkes in die Wege zu leiten, aber auch Konferenzen zu organisieren.
Die hierbei entstandenen Netzwerkkontakte und persönlichen Beziehungen sollten ihm bald sehr zum Nutzen sein: Mit der DDR verschwand nach 1990 auch bald das gesamte Konstrukt des Kulturbundes. Lutz Wunder gehörte nicht zu denjenigen, die darob ins resignierende Jammern verfielen und unaufhörlich den Lauf der Geschichte beklagten. Die neuen Instrumente und Möglichkeiten sondierend und erkennend, die sich unter den neuen Bedingungen nach dem Regime-Wechsel 1990 ergaben, ergriff er zusammen mit anderen Mitstreitern ähnlichen Mutes und Tatendranges die Chancen, und es entstand 1994 der Kulturring in Berlin e.V. Geld auftreiben, Partner gewinnen, arbeitsamtgestützte Projekte initiieren, neue Veranstaltungsformate entwickeln – es war selten mit einem Achtstundentag getan. Nicht ohne gewissen Stolz denkt er an solche erfolgreichen Aktionen wie den „Berliner Kulturtag“ als Kooperationsveranstaltung mit einigen osteuropäischen Kulturzentren zurück.
Seit 2003 obliegt es dem Kulturring als alleinigen „Betreiber“, das „Kulturforum Hellersdorf“ mit Leben zu füllen. Es ist nicht zuletzt Lutz Wunders Verdienst, wenn dies zu einer Erfolgsstory wurde und das Kulturforum aus dem kiezbezogenen Kulturangebot nicht mehr wegzudenken ist. Allmählich bildeten sich dabei naturgemäß zwei Akzente heraus, die Lutz Wunder besonders am Herzen liegen: Kultur als Integrationsimpuls für Immigranten und Deutsche mit fremdkulturellen Wurzeln sowie die Seniorenkultur. Für den internationalen Touch im Programmangebot seines Projektbereiches fand Lutz Wunder mit Natalija Sudnikovic eine unentbehrliche und umtriebige Partnerin, der solche Publikumsrenner wie das Jolka-Fest, mit dem in Russland und angrenzenden Ländern traditionell der Jahreswechsel begangen wird, die monatliche „Russendisko“, das alljährliche Butterfest „Masleniza“, das russische Pendant zum deutschen Karneval vor der Fastenzeit, sowie das kasachische Neujahrsfest „Nauryz“ zu verdanken sind. Sie sei froh, so Sudnikovic, auf solche Menschen wie Lutz Wunder getroffen zu sein, („Eine gute Seele!“). Er ließe sie gewähren, helfe nach Kräften und stöhne aber auch mitunter unter der Last ihrer Ideenfeuerwerke.
Die Liste der Veranstaltungsreihen, an denen Lutz Wunder eine entscheidende Aktie hat und an die er sich immer gern erinnert, ist lang. Dazu gehört die „IG Museen“ für Senioren ebenso wie die legendären Lesungen mit politischen Prominenten wie Lothar Späth, Edzard Reuter, Heiner Geißler, Richard von Weizsäcker oder Egon Bahr, die ihre Bücher präsentierten. Der Erfolg solcher Veranstaltungen ist der verdiente Lohn für die oft mühevolle organisatorische Kleinarbeit, aber auch dafür, zu experimentieren, sich um unerprobte Veranstaltungsformate den Kopf zu zerbrechen und Neues zu entwickeln.
Nach dem Ausscheiden aus seinem Amt und ohne die Bürde der administrativen Verantwortung hofft Lutz Wunder nun, in seinem künftigen ehrenamtlichen Engagement für den Kulturring mehr Zeit und Raum zu haben für neue Ideen und kreatives Gestalten von Programmangeboten. Sollte er in den Vorstand gewählt werden, so wolle er sich v. a. darum kümmern, das Erfahrungspotential seiner Mitglieder für diese Kulturangebote besser zu mobilisieren und zu nutzen.
Als junger Mann war Lutz Wunder Leistungssportler. Den Langstreckenläufer trieben natürlich Ehrgeiz und Erfolgswille. Im Unterschied zu Colin Smith in Alan Sillitoes berühmter Erzählung „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“ dürfte Lutz Wunder seine Glücksmomente wohl weniger in der Einsamkeit des Laufens erfahren haben, sondern eher in der Betriebsamkeit des rastlosen Lebens im Kulturmanagement, mitten unter kulturinteressierten, kreativen und dankbaren Menschen. Nun ist er in seinem beruflichen Langstreckenkauf in die Zielgerade eingebogen und hat wohlbehalten die Ziellinie erreicht. Großen Beifall, Lutz Wunder, für die formidable Leistung! Möge er noch eine Weile seine Ehrenrunden drehen...