Menschenbilder – zeichnen, malen oder radieren

Maja-Helen Feustel

Aktzeichenkurs im Studio mit Stefan Friedemann

Der Abend in dem kleinen Raum mit dem verglasten Erker der Backsteinvilla mitten im Plattenbaugebiet ist für viele ein wertvoller Termin geworden. Die Arbeit vor dem nackten Körper, ihn in seinen Formen, seinen Proportionen, in Ruhe und aus der Bewegung heraus zu erfassen, bildet das Fundament für jede bildnerische Tätigkeit. Und so finden sich hier – abseits des Trubels des Alltags- und Arbeitslebens – wöchentlich Zeichenbegeisterte zusammen, um sich unter wertvollen Anregungen, Ratschlägen und Korrekturen des Kursleiters Stefan Friedemann mit großer Aufmerksamkeit der Darstellung der menschlichen Figur zu widmen. Junge Menschen, die noch die Schulbank drücken, mehr oder weniger Gestresste aus dem Berufsleben und Frauen und Männer, die die Zeit bereits in Rente genießen, Anfänger wie auch erfahrene, gestandene Künstler, z.B. die Bildhauerin Birgit Horota.

Stefan Friedemann, selbst bildender Künstler und begnadeter Lehrer, holt jeden seiner Kursteilnehmer da ab, wo sie /er steht. Unter seiner Anleitung werden die Wahrnehmung und die verschiedenen Techniken der Darstellung geschult. Viele Stunden fangen an mit Bildbeispielen aus seiner umfangreichen Sammlung an Kunstbüchern und mit Diskussionen zu verschiedenen Vorgehensweisen der Motivstudie in der Kunstgeschichte.

Für Tatiana Burghenn-Arsénie hat die Zeit der konzentrierten Arbeit vor dem Modell gleichsam „etwas Mystisches, eine hohe Qualität, die einfache Kohle und Kreide zu Instrumenten der Alchimie werden lässt, so dass unter der ständigen und wachsamen Leitung von Stefan Friedemann nicht bloße Anatomiestudien, sondern bestehende Präsenzen auf Papier/Leinwand gebracht werden können.

Wenn er korrigiert oder etwas erklärt, geht das ins Unterbewusstsein, bleibt da und arbeitet wie eine Langzeitmedizin, wird in richtigen Dosen und zum richtigen Zeitpunkt wieder freigesetzt und fließt in unsere Zeichnungen ein. Und auch wenn es mal nicht gleich klappt, macht das nichts. Er wird niemals müde, es noch mal und noch mal zu erklären, auch wenn er dazu auch mal Vergleiche aus der Musiktheorie einflechten muss.“

Etwas prosaischer äußert sich Norman Leymann über die Qualität und die Bedeutung des Aktkurses: „Fertigkeiten im Aktzeichnen sind die Basis für so ziemlich jede technische und künstlerische Gestaltungsrichtung. Denn es geht darum, den bildnerischen Umgang mit Körper, Volumen, Raum, Kontrast, Proportion und Komposition zu erlernen, um diese Fertigkeiten bewusst einsetzen zu können.Unter der Leitung von Stefan Friedemann kann man im Studio Bildende Kunst Berlin-Lichtenberg, im Kurs für Aktzeichnen mit Korrektur seit vielen Jahren diese Fertigkeiten unter den wegweisenden Korrekturvorgaben und beispielhaften Ergänzungen des Lehrers erlernen. Dabei gilt es, sich gleichermaßen der Kritik auszusetzen, als auch die Korrekturvorgaben zu befolgen, um Lernerfolge zu erzielen. Denn Aktzeichnen mit Korrektur ist immer auch eine Art Auseinandersetzung zwischen Schüler und Lehrer, wobei die Lernkurve des Schülers umso steiler verläuft, je empfänglicher er sich für die Kritik zeigt, je eifriger er die Korrekturen versucht in seinen Zeichnungen umzusetzen.

An den landläufigen Kunsthochschulen scheint dieser Ansatz im Lehrplan ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein. Vielleicht lässt sich so die scheinbare Angst vor der Figur (oder die Abkehr von der figürlichen Darstellung) in den Leistungsschauen und Absolventenausstellungen der Hochschulen verstehen. Dabei gibt es – wie oben genannt – mehr als nur gute Gründe, sich diesen Unterricht zu Gemüte zu führen, selbst wenn man später nicht ausschließlich figürlich arbeiten möchte.

Seit nunmehr zwei Jahren besuche ich den Aktzeichenkurs von Stefan Friedemann. In dieser Zeit habe ich unter seiner Anleitung Lernerfolge erzielt, die ich selber nicht für möglich gehalten habe. Mittlerweile kann ich selbstbewusst und entschieden gestalterische Fragestellungen lösen. In meinen freien Arbeiten, die weit außerhalb des Kurses entstehen, kann ich das im Kurs Gelernte umsetzen und aus den angeeigneten Ressourcen schöpfen, um künstlerisches Neuland zu erschließen.“

An dieser Stelle muss eine Besonderheit unbedingt hervorgehoben werden: Die glückliche und rare Kombination vom Aktzeichenkurs mit den Druckgrafik-Kursen, die ebenfalls von Stefan Friedemann im Studio Bildende Kunst geleitet werden. Sie gibt den Teilnehmern beider Kurse nicht nur die Möglichkeit, vor der Natur zu zeichnen und dann die Zeichnung zu einem späteren Zeitpunkt in einem anderen Medium umzusetzen, sondern gleich vor dem Modell auf die Platte (Zink oder Kunststoff), in den Ätzgrund zu zeichnen oder zu ritzen. Der unmittelbare Eindruck kann auf der Druckplatte festgehalten werden. Von dieser Möglichkeit machen unter anderem Brigitte Lingertat, Birgit Horota, Heidrun Sommer und auch ich gerne Gebrauch. Für Heidrun Sommer ist das konzentrierte Aktzeichnen auf jeden Fall eine Bereicherung, die sich auf das Entstehen der Radierungen auswirkt und ihre Figuren glaubwürdiger macht: „Aktzeichnen ist Konzentration und Strenge mit sich selbst. Es gibt ein Ausruhen nur in den Pausen. Die 20, 15 oder manchmal nur 5 Minuten, in denen das Modell in seiner Pose verharrt, sind intensiv zu nutzen. Zum Beispiel für das Wahrnehmen der Richtungen, die die Körperhaltung bestimmen. Jede Nachlässigkeit wirkt sich aus, und man bemerkt lange nicht, was denn eigentlich nicht stimmt an der Zeichnung.“

Franziska Deregoski und Marianne Fuchs sind seit längerem Teilnehmer des Druckgrafik-Kurses und haben sich erst vor kurzem zum Aktzeichnen entschlossen. Sie stellen fest: „Der Besuch des Aktzeichenkurses hat uns in unserer künstlerischen Erfahrung bereits in den letzten Monaten erheblich weitergebracht. Zwar nehmen wir erst seit Februar 2012 an den Kursen teil, doch konnten wir unsere zeichnerischen Fähigkeiten schon jetzt an den Umgang mit verschiedenen Körperhaltungen, vor allem der Umsetzung von Licht und Schatten, Faltenwurf und Muskelspiel, bedeutend schulen. Da wir zuvor nie nach Modell gearbeitet hatten, war es für uns eine Herausforderung, die Modelle so wirklichkeitsnah und realistisch in der Zweidimensionalität wiederzugeben. Erst hierbei konnten wir uns unter der Anleitung von Stefan Friedemann notwendiges Wissen über die Proportionslehre, Anatomie und Schattengebung aneignen. Besonders die Verkürzung und Streckung ein und derselben Form hilft, den Sinn für unterschiedliche Proportionen einzelner Menschen zu schärfen.“

Von der Qualität und Bedeutung des Aktzeichenkurses konnte und kann sich die Öffentlichkeit immer wieder an Hand seiner Ergebnisse in einer Vielzahl von Einzel- und Gruppenausstellungen überzeugen. Und es gibt viel mehr Interessenten für den Kurs als derzeit aufgenommen werden können. Nebenbei gesagt: Es wird zur Abwechslung ab und zu durchaus auch ein bekleidetes Modell gezeichnet.

Schließen wir mit Anne Lepinski: „Die Welt des Aktzeichnens ist in ihrer Vielfältigkeit und in ihrem Anspruch an das Sehen und Erfassen der Figur, des Raumes ein ganz wunderbar langer Moment in der heutigen Schnelllebigkeit.“

Es wäre schön, wenn wir diese glücklichen Erfahrungen im Zeichnen durch unsere Arbeiten auch den Betrachtern erschließen könnten.

Archiv