Ein Jubiläumsfest – 10 Jahre Berliner Tschechow-Theater

Lutz Wunder

Es war eigentlich eine Verlegenheitssituation: Das russische Theater „Skaska“ im Marzahner Nordwesten stand aus verschiedenen Gründen vor dem Aus – keine Institution wollte oder konnte mehr personell und finanziell helfen. Es drohte ein Abbruch der Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen im ohnehin schon problembeladenen Stadtteil Marzahn NordWest am nördlichen Stadtrand von Berlin. Der Kulturring als Kooperationspartner des Theaters hatte noch keine eigenständigen Theaterprojekte, war aber bereit, in die Bresche zu springen. Es gab den berühmten Glücksfall, dass zuvor der russlanddeutsche Theaterregisseur Johann Keib den Weg des Kulturrings gekreuzt hatte.

Also wurde mit einer Entscheidung nicht lange gezögert, sich mit Johann Keib beraten, ob er Lust hätte, die Theaterarbeit in dem Haus gemeinsam mit dem Kulturring zu übernehmen. Die damalige Quartiersagentur sagte eine Förderung zu, Johann Keib war bereit, sich die Verantwortung aufzubürden. Bereits im Juni 2002 gab es in dem Theater, damals noch in der Märkischen Allee 386, einen Tapetenwechsel. Die Akteure und Theaterliebhaber im Kulturring brannten vor Elan, mit der Theaterarbeit zu beginnen, und so wurde im Juni schon eine „Inbesitznahme“ gefeiert. Die offizielle Eröffnung im Juli war eigentlich Nebensache. Schnell war auch ein Namenspatron gefunden, nämlich Anton Tschechow.

Der Theaterkünstler zwischen den Kulturen Russlands und Deutschlands – ist bis heute einer der meistgespielten Regisseure auf deutschen Bühnen. Es dauerte nicht lange und das Zimmertheater entfaltete sich zu einem besonderen Kulturort im Stadtteil. Das Theaterspiel in all seinen Facetten stand zwar stets im Mittelpunkt. Aber da alle Künste auch eine Verbindung zum Theater besitzen, spielten sie auch stets eine Rolle im Haus. So entwickelte sich ein kleines, aber arbeitsintensives Kulturhaus am Rande der Stadt und bereicherte das Kulturleben für Besucher aus allen Altersgruppen und Herkunftsländern bald auch über den Stadtteil hinaus.

Im Jahr 2003 musste das Theater umziehen, der Vermieter brauchte die Räumlichkeiten für sein Kundenbüro. Im Jahre 2004 übernahm die jetzige Theaterleiterin, Dr. Alena Gawron, die Leitung des Hauses, und an ihre Seite stellte sich Natalija Sudnikovic, die mit dem Ensemble T&T (Theater und Tanz) die „Haustheater“-rolle übernahm. Es zählt zu den positiven Ergebnissen der Hausgeschichte und auch des Engagements der Kulturringmitstreiter, dass einige Angebote von Anbeginn bis heute erfolgreich Besucher anziehen und das Profil des Hauses charakterisieren – so das Kinderstudio „Sonnenschein“ von Tamara Bott mit seiner vorschulischen musischen Ausbildung als nur ein Beispiel. Es ist müßig, die Anzahl der Veranstaltungen und Besucher zu zählen, die aufgetretenen Künstler und Ensembles, die Zahl der Ausstellungen. Wichtig ist, der kleine Junge aus dem Nachbarhaus, die Seniorin von gegenüber waren selbstverständlich zu Gast, ebenso wie Bundesminister und Botschafter, Politiker aller Ebenen, Theaterinteressierte zum Erfahrungsaustausch auch aus der Ferne, und ... die Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen.Heute ist das Theater aus dem Stadtteil nicht mehr wegzudenken, zum Glück wird sein Engagement weiter gefördert, und wenn sich die Personal- und Honorarsparwolken über dem Haus mal wieder bedrohlich verdichten, dann stehen die Unterstützer stets an der Seite des Hauses und erheben lautstark ihre Stimme. Das kleine Theater ist nicht nur für die Bewohner des Stadtteils wichtig geworden, es ist wichtig für die Integrationsarbeit im Bezirk, und auch für Berlin. Es ist wohl der einzige Ort in der Hauptstadt, an dem so kontinuierlich Anton Tschechow und sein Werk präsent ist.

Von solch beachtlicher Ausstrahlungskraft zeugt auch die Anerkennung, die das Haus und der Verein Kulturring mit seiner theaterpädagogischen Arbeit beim Bundespräventionstag in Wiesbaden 2007 mit seiner Inszenierung „Hinter die Linie zurück“ und 2010 in Berlin mit dem Stück „Time out“ errang.

Die Arbeit des Theaters, seine überregionale Ausstrahlung mit den verschiedensten Projekten ist damit auch ein wichtiger Aspekt für die Mittlerrolle Berlins im nationalen und internationalen Kunstprozess – auch an so einem Ort, in so einem kleinen Theater – oder vielleicht gerade dort!

Im Verlaufe der kulturellen und künstlerischen Arbeit sind dem Theater viele Kooperationspartner, Freunde und Sympathisanten erwachsen. Sie unterstützen auf vielfältige Art und Weise das Geschehen im Haus. Wünschen wir dem Tschechow-Theater und seiner engagierten Gemeinde noch viele interessante Veranstaltungen und Aufführungen und ein möglichst langes Leben in der Kulturlandschaft Berlins, des Bezirkes Marzahn-Hellersdorf und vor allen Dingen vor Ort, bei den Leuten in Marzahn-NordWest.

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