Bilanz und Finale eines Gesprächskreises

Horst Laude

Ein letztes Mal fand sich an einem Dezember-Tag des verflossenen Jahres ein Gesprächskreis zusammen, der sich über einen Zeitraum von 19 Jahren hin bemerkenswert kontinuierlich mit der Entwicklung von Kunst und Kultur in der DDR als übergreifender Thematik beschäftigt hat. Die Teilnehmer ebenso wie die jeweils zu konkreter Erörterung eingeladenen Referenten und Gesprächspartner: wissenschaftliche Sachkenner der Prozesse und Probleme, die sich mit dem Gegenstand verbinden, und ehemals kulturpolitisch verantwortliche Akteure – beredte Zeitzeugen in jedem Fall. Das Domizil des Kulturbundes Treptow in der Ernststraße 14 war ihnen seit langem zur vertrauten Begegnungsstätte geworden. Ein Hauch von Melancholie lag über der Szene.

Vorgestellt wurde zum Finale ein um differenzierte Sicht bemühtes Porträt des Kulturpolitikers Klaus Gysi, dessen Geburtstag sich am bevorstehenden 3. März zum 100. Male jährt. Besonders im Blickpunkt dabei: der Minister für Kultur Gysi, der dieses Amt in schwieriger Zeit, von 1966 bis 1973, ausübte. Der Autor, Prof. Dr. Karl-Heinz Schulmeister, stützt seine Darstellung auf ein Gutteil persönlicher Erinnerungen an den älteren Protagonisten und Weggefährten wie auf ergänzende Recherchen. Leider konnte der langjährige 1. Bundessekretär des Kulturbundes in der DDR aus gesundheitlichen Gründen nicht selber präsent sein in der Runde.

Karl-Heinz Schulmeister war es, der zusammen mit Prof. Dr. Eberhard Röhner im Jahre 1993 eine Arbeitsgruppe „Kultur und Kunst in der DDR“ ins Leben rief. Sie folgten damit zumal den Intentionen des namhaften Querdenkers und DDR-Dissidenten Wolfgang Harich, der es als eine dringliche Aufgabe des Kulturbundes ansah, sich im vereinten Deutschland für das kulturelle Wertepotential der DDR zu engagieren. Die gezielte Verständigungsarbeit der Beteiligten mündete in den ersten beiden Jahren jeweils in öffentliche Veranstaltungen, die in der Berliner Stadtbibliothek stattfanden. Gewidmet waren sie den Themen: Bildende Kunst in der DDR zwischen Anpassung und Subversion (Prof. Dr. Hermann Raum), Musik in der DDR in den 50er/60er Jahren (Prof. Dr. Günter Mayer), Prosaliteratur der DDR in den 60er Jahren (Prof. Dr. Eberhard Röhner), DDR-Literatur – was ist das? (Prof. Dr. Christel Berger), 44 Jahre DEFA (Prof. Dr. Rudolf Jürschik) und Denkmalpflege in der DDR (Prof. Dr. Ludwig Deiters).

Das konzipierende Team, das mit solchem selbsterteilten Auftrag gestartet war, wurde zum Kern eines dauerhaft aktiven Gesprächskreises, dem sich auch manch einer der erst als Referent Eingeladenen zugesellte. Seit dem Jahre 2004 lag die Verantwortung für die engagierte Fortführung dieser Arbeit in den Händen von Dr. Jürgen Harder. Stetes Anliegen war den Dialogpartnern seit ihrem Beginnen eine gezielte und möglichst genaue Rekonstruktion der historischen Vorgänge und deren produktive Aufarbeitung aus heutiger Sicht und Erfahrung, die für die Beteiligten immer auch ein Element von Selbstvergewisserung in sich schloss. Die Würdigung positiver Leistungen und Wertbestände des Kunst- und Kulturschaffens der DDR verband sich mit kritischer Analyse kultureller Verwerfungen und Deformationen, die auf das Konto einer administrativen und restriktiven Kulturpolitik gingen. In solchem Belange standen so folgenreiche ZK-Tagungen der SED wie das 5. Plenum (das „Formalismus“-Plenum) von 1951 und das 11. Plenum von 1965 im Mittelpunkt intensiver Diskussionen.

Das Eindringen in viele einzelne Vorgänge und Probleme schärfte auch den Blick für die Bedeutung historischer Zäsuren und Umschlagpunkte wie den XX. Parteitag der KPdSU und die davon ausgehenden Debatten unter Künstlern und Intellektuellen in den Jahren 1956/57, damit auch den Blick für eine den realen Entwicklungsverläufen angemessene Periodisierung.

Im Laufe der Jahre fügten sich die erörterten Themen und Gegenstände zu einer umfangreichen inhaltlichen Palette. Alle Künste waren hier vertreten (wenngleich die Musik im ganzen etwas unterrepräsentiert blieb), eingeschlossen bestimmte Sparten der Kritik (Literatur, Theater), das Medium Rundfunk und Bereiche der Verbreitung und Vermittlung (Verlagswesen, Buchhandel, Lichtspielwesen), schließlich auch einschlägige Zeitschriften („Sinn und Form“, „Weimarer Beiträge“). Auf der Tagesordnung stand die Arbeit der Künstlerverbände und die der Akademie der Künste sowie des PEN-Zentrums der DDR. Nähere Zuwendung galt dem Schaffen bzw. dem kulturpolitischen Werken namhafter Schriftsteller wie Johannes R. Becher, Friedrich Wolf und Erwin Strittmatter, auch dem konfliktbelasteten Schicksal bestimmter literarischer Werke von Stefan Heym und Peter Hacks. Wiederholter Bezugsgegenstand war natürlich das vielgestaltige Wirken des Kulturbundes. Spezielle Aufmerksamkeit fand auch die Volkskunst. Der Komplex der Aneignung und Pflege des kulturellen Erbes wurde sowohl als Gesamtphänomen wie in Gestalt repräsentativer Jubiläen (Schiller, 1955; Heine, 1956; Luther, 1983) ins Visier genommen. Auch die internationalen Kulturbeziehungen der DDR und speziell die Arbeit der Künstleragentur kamen zur Sprache.

Die Behandlung vieler spezifischer Gegenstände und Bereiche führte zugleich immer wieder auf Grundfragen der Kulturpolitik der SED und der von ihr in Anspruch genommenen „führenden Rolle“ auch auf diesem Gebiet und ebenso auf die Tätigkeit des Staates als Instrument zur Verwirklichung dieser Politik. Als eigenständige Themen fungierten hierzu u.a. im Programm (neben den bereits genannten ZK-Tagungen): die Kulturkommission beim Politbüro und die Abteilung Kultur des ZK sowie die Arbeit der Hauptverwaltungen Verlage und Buchhandel bzw. Film und der Abteilung Künstlerische Hoch- und Fachschulen beim Ministerium für Kultur, aber auch die Tätigkeit des Kulturausschusses der Volkskammer und des Nationalen Erberates beim Minister für Kultur. Gebührende Aufmerksamkeit fand auch das kulturpolitische Wirken der Blockparteien, namentlich der CDU, sowie der LDPD und der DBD, das jeweils zum Gegenstand eigener Zusammenkünfte wurde, bei denen ehemalige Funktionsträger dieser Parteien bzw. sachkundige Mitglieder aus ihren Bereichen als Referenten fungierten.

Die Ergebnisse und Erkenntnisse aller Debatten, die über die Jahre hin geführt wurden, flossen mehr oder weniger, direkt und indirekt ein in Vorträge und Publikationen, wobei freilich zumeist das eigene Engagement der jeweiligen Experten und Zeitzeugen da den Ausschlag gab. Besonderen Respekt verdienen in dieser Hinsicht die beständigen wissenschaftlichen Aktivitäten des langjährigen Mitstreiters des Gesprächskreises Prof. Dr. Dieter Schiller. Andererseits wurde in so mancher Zusammenkunft auch auf vorliegende Publikationen reagiert und der Autor zum Gespräch eingeladen, so der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Werner Mittenzwei anlässlich des Erscheinens seines Buches „Die Intellektuellen“ bzw. seiner Autobiografie „Zwielicht“ und zuletzt der Schriftsteller Volker Braun, der sein „Arbeitsbuch 1977-1989 („Werktage I“) vorstellte.

Nun verabschiedet sich der Gesprächskreis aus der Kulturbundszene, und da will er auch denen Dank sagen, die ihm über viele Jahre zur Seite standen und ihm freundliche Gastgeber waren, dem Kulturbund Treptow mit seinem Projektleiter Reno Döring und seinen Mitarbeitern.

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