Mit dem D-Zug in die Schweiz

R. F.

Vom Leben und Überleben einer Berliner Arztfamilie

Der erste Arzt in dieser Familie stirbt betagt als angesehener Sanitätsrat in den 1930er Jahren. Von seinen fünf beruflich erfolgreichen Kindern wird der Sohn, Siegfried Peltesohn, zunächst Chirurg. Nach dem Ersten Weltkrieg lässt er sich als Orthopäde mit eigenem Röntgengerät in der Rankestraße nieder, wo er bis 1943 praktiziert. Ab 1939 wird er als ,,Krankenbehandler" eingesetzt. Kurz vorher emigrieren seine Tochter und ihr zukünftiger Ehemann nach abgeschlossenem Medizinstudium nach New York. Beide hatten von 1932-38 in Berlin und zuletzt in Leipzig studiert. Das Abschlusszeugnis mit der Note ,,gut“ bzw. „sehr gut“ war ihnen zwar noch ausgehändigt worden, aber sie erhielten aufgrund ihres „mosaischen Glaubens“ die Approbation nicht. In wöchentlichen Briefen berichten nun Siegfried und seine Frau Alice ,,ihren lieben Kindern“ in New York über ihr sich stetig verschlechterndes Leben in Berlin, ihre Arbeit in der Praxis, über die weitere Familie und ihre späten aber vergeblichen Bemühungen um Auswanderung. lm März 1943 werden beide nach Theresienstadt deportiert. Damit versiegt, abgesehen von einigen Rotkreuzkarten, der Briefwechsel. Trotz seiner 67 Jahre wird Dr. Peltesohn von der Lagerverwaltung in Theresienstadt als Orthopäde angestellt. Seine Frau erkrankt mehrfach schwer, bekommt im Oktober 1944 eine Ladung zu einem Transport, der nach Auschwitz geht, den sie aber aus unbekannten Gründen nicht antreten muss. Stattdessen bekommt sie wenige Monate später zusammen mit ihrem Mann kurzfristig eine Zuweisung für den einzigen Transport aus einem KZ vor Kriegsende, der in die Schweiz geht. Am 5. Februar 1945 können Alice und Siegfried Peltesohn den D-Zug besteigen, der sie von Theresienstadt in die Schweiz bringt. Im Jahr darauf können sie zu ihrer Tochter nach New York auswandern. Diese, eine inzwischen verstorbene, angesehene Nephrologin und Wissenschaftlerin am Mount Sinai Hospital, hat nicht nur alle ihre Studienunterlagen einschließlich ihrer Studienbücher aufbewahrt. Auch das große Konvolut der elterlichen Briefe und die Aufzeichnungen ihres Vaters aus Theresienstadt, die Transportscheine in die Schweiz bzw. der auf Alice Peltesohn ausgestellte Transportschein nach Auschwitz auf dünnem Papier lagern in Übersee.

Dr. Ruth Jacob, Ärztin und Schriftstellerin, hat ausgiebige Recherchen zur Emigration jüdischer Ärzte unternommen. Mit diesem Wissen bereitet sie die für September im Foyer des Rathauses Schöneberg geplante Begleitausstellung zu jüdischen Ärzten vor. Ein Teil ihrer Ergebnisse ist in die Publikation zu jüdischen Kassenärzten in Berlin eingegangen. Am Dienstag, dem 28. Februar 2012, spricht sie im Goldenen Saal des Rathauses über das Schicksal der Arztfamilie Peltesohn.

Literatur: Rebecca Schwoch (Hg.), Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus. Gedenkbuch im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Berl. u.a., Berlin 2010.

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