Von Villa Arthur Capelle zu Villa ROSI

Michael Laschke

In Karlshorst findet sich in der Robert-Siewert-Straße Nr. 50/52, in einer Gegend mit typischen Einfamilienhäusern, eine ehemalige Fabrikantenvilla. Wer jetzt ein mehrstöckiges Gebäude aus rotem Klinker, wie zum Beispiel die Villa Skupin, das Studio für Bildende Kunst des Kulturrings, vermutet, der irrt. Es handelt sich in Karlshorst um ein lediglich zweistöckiges, würfelförmiges Gebäude. Massiver Putz und ein Sockel aus Bruchsteinmauerwerk sind die zunächst wahrnehmbaren Merkmale.

Schnell läuft der Spaziergänger vorbei, ohne einen längeren Blick auf das bemerkenswerte Gebäude zu werfen, das aus der Fluchtlinie der Nachbarbauten zurückgesetzt ist. Rechts befindet sich, rechtwinklig angesetzt, die frühere Garage mit Chauffeurwohnung. Durch diese Anordnung, so lesen wir in den Denkmalunterlagen, entsteht eine kleine Platzsituation, die das Betreten des Grundstückes inszeniert. Sowohl dieses Arrangement wie auch die Fassadengestaltung des Haupthauses sind für Karlshorster Bauten eine Besonderheit. Der Architekt arbeitet mit unterschiedlichen Fensterformen und -formaten, die asymmetrisch in der Wandfläche verteilt sind und sich dennoch, bei genauerem Hinsehen, zu einem ausgewogenen Bild zusammenfügen. Das hohe, rechteckig schlanke Fenster der Halle und ein gläserner Treppenhauserker sind heute herausragende Merkmale der Fassade. Künstlerisch bedeutend sind ebenso Gesimse von Sohlbank und Fensterstürzen und die schmiedeeisernen Gitter.

Die Gartenfront schmückt die Freitreppe mit breiten Treppenwangen, ebenfalls aus Bruchstein. Der Garten selbst ist durch einen Sandsteinbrunnen geprägt.

Interessant an dem Gebäudekomplex ist jedoch nicht nur die Architektur. Ebenso interessant ist die Geschichte des Bauherrn. Wir erfahren daraus Neues über die Sozialstruktur von Karlshorst, und zugleich offenbart sich erneut eine Familientragödie in den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Das muss hier ausgespart bleiben.

Bauherr der Villa, die um 1938/1939 bezogen wurde, war der Kaufmann Arthur Capelle, der Architekt vermutlich sein Bruder Hermann (1900-1988), der als Postbaurat in Düsseldorf verschiedene Großprojekte verwirklichte. Arthur Capelle, geb. 1899 in Lippoldsberg, gestorben 1945 in Berlinchen (Neumark/Polen), war ein erfolgreicher Geschäftsmann. Schon 1927 hatte er die Firma „Arthur Capelle GmbH – Spezialfabrik für Bauhandwerker- Berufs- und Zunftkleidung, Qualitätswerkzeuge“ mit Sitz in Berlin O 27, Dircksenstraße 2 gegründet, in der auch die Brüder Walter und Berthold tätig waren. Es gab mehrere Filialen in Berlin und eine in Halle (Sachsen-Anhalt), Delitzscher Straße 14. Um 1933 arbeiteten hier über 60 Beschäftige. Der Werbespruch „Kauft Kluft und Kelle vom Arthur Capelle“ war deutschlandweit bekannt. Auch ältere Karlshorster Einwohner, die mit der Branche nichts zu tun haben, können sich noch immer daran erinnern. Im November 1943, wenige Tage vor einem Bombenangriff, der die Geschäftsräume in der Alten Schönhauser Straße Nr. 58 in Schutt und Asche legte, verlassen die Familien Capelle Berlin. Arthur Capelle zieht mit Familie und Firma nach Berlinchen (heute Barlinek) in der Neumark, der Bruder Berthold geht nach Lippoldsberg zurück und wird Gastwirt wie der Vater.

Das Gebäude in Karlshorst erlebte nach 1945 eine wechselvolle Belegung. Vom 1. Juli 1946 bis zum 22. Februar 1951 ist es von der Sowjetischen Besatzungsmacht requiriert. Diese beseitigte auch leichte Kriegsschäden. Als Nutzer ist 1946 Oberstleutnant Fessenko bekannt. Im Jahre 1950 melden sich Interessenten aus dem Rundfunk, und Robert Fechner wird als Bevollmächtigter für das Grundstück genannt, 1951 ist es Otto Liebe. Es ist nicht bekannt, ob diese Bevollmächtigten dort wohnten. Im Februar 1952 wird das Grundstück der DDR übergeben. Danach war zeitweilig Heinrich Homann, lange Jahre ein führender Funktionär der NDPD, dort als Nutzer geführt. Zwischen 1966 und 1982 ist das Gebäude zunächst Generalkonsulat, dann Botschaft Ägyptens. Nach 1990 war eine Schulungsfirma „Klingworth-Akademie“ Berlin, Mieter.

Im Jahre 2004 übernahm die SysTree AG, Informationstechnologien, das Objekt und sanierte es denkmalgerecht mit einem hohen Aufwand an Eigenmitteln. Aus der Villa Arthur Capelle wurde die „Villa ROSI“ (Villa Robert-Siewert-Straße). Villa ROSI ist Sitz der Firma SysTree mit dem Vorstand Frank Wilms und wieder ein Schmuckstück in der Karlshorster Denkmallandschaft.

Was wurde aus der Firma Arthur Capelle? Der Prokurist J. Woldeck führte die Firma nach 1945 in (West-)Berlin weiter und verlegte ihren Sitz 1963/1965 nach Creglingen, Lindleinstraße. Dort wird sie 2009 von Georg Wostratzky übernommen, der allerdings 2010 Insolvenz anmeldet.

Die Tauber-Zeitung schreibt im April 2010, dass mit dieser Insolvenz die Marke „Arthur Capelle stirbt und überrascht ihre Leser mit dem hübsch formulierten, aber falschen Abschlusssatz:

„Gelebt hat der Firmengründer mit dem eigenwilligen Namen übrigens nie. Er ist eine wohlklingende Erfindung. Zimmermänner, Dachdecker, Maler und Maurer werden ihren Arthur Capelle dennoch vermissen.“

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