KulTour: Der Chamissokiez

John Chinnery

Millionen von Menschen kennen ihn aus Film und Fernsehen, den an einem sanft ansteigenden Hang liegenden Chamissokiez, das größte zusammenhängende und unter Denkmalschutz stehende (wilhelminische) Gründerzeit-Gebäude-Ensemble Berlins mit seinen reich geschmückten, vom Historismus geprägten Fassaden. Wenn man in Deutschland für einen Film, der im Zeitraum 1870 bis 1940 spielt, einen Hintergrund benötigt, gehört dieser Kiez zur ersten Wahl.

Im Jahr 1861 wurde die vor allem landwirtschaftlich genutzte Tempelhofer Vorstadt eingemeindet, und James Hobrecht erarbeitete einen Kanalisationsplan. Das Gebiet des heutigen Chamissokiezes gehörte einst im Bereich Willibald-Alexis-Straße, Arndtstraße und Nostitzstraße der Witwe Bergmann, Namensgeberin der Bergmannstraße, die das Land dann an zwei Kaufleute veräußerte. Kaufmann Spielhagen, Besitzer des Gebietes zwischen Friesenstraße, Fidicinstraße, Bergmannstraße und Nostitzstraße, begann 1873 mit der Erschließung und Parzellierung. Er legte die Arndt-, Nostitz- und Schenkendorfstraße an und verkaufte die Grundstücke an bauwillige Handwerker, die auch für die architektonische Gestaltung ihrer Häuser verantwortlich zeichneten. Der Grundstücksstreifen zwischen oberer Friesen-, Fidicin- und Schwiebusser Straße wurden ab 1832 schrittweise vom preußischen Militär veräußert.

In der Zeit nach dem Zeiten Weltkrieg nahm der Zustand der Gebäude in Folge ausbleibender Instandhaltungsmaßnahmen stetig ab. Bis 1979 änderte sich tatsächlich nichts, dann aber wurde die GEWOBAG als Sanierungsträger für das im gleichen Jahr förmlich festgelegte „Sanierungsgebiet Kreuzberg-Chamissoplatz“ bestimmt. Zu Beginn der 1980er Jahre wurden die ersten leer stehenden Mietshäuser im Chamissokiez besetzt. Anfangs wurden die Häuser sofort geräumt. Doch nach weiteren Hausbesetzungen wurde nach anderen Lösungen gesucht und den Hausgemeinschaften von Instandbesetzern wurde nach Verhandlungen mit dem Senat und der GEWOBAG das Wohnrecht garantiert. Seit 2003 ist die Sanierung des Gebietes förmlich abgeschlossen.

Ausgangs- und Endpunkt dieser Tour ist der U-Bahnhof „Platz der Luftbrücke“, den man – aus Richtung Alt-Tegel (Linie U6) kommend – entgegen der Fahrtrichtung rechter Hand verlässt. Dann läuft man etwa 100 Meter den Mehringdamm hinunter bis zur Fidicinstraße und biegt in diese ein. Nach ca. 250 Metern erreicht man die Ecke Fidicin-/Kopischstraße, wo das Wahrzeichen des Chamissokiezes steht, der seit 1988 als Jugendzentrum genutzte Wasserturm Undine.

Von dort geht man nach links in die Kopischstraße und läuft diese hinunter bis zur Willibald-Alexis-Straße. Weiter geht es dann rechts bis zum ursprünglich von Hermann Mächtig (1837-1909) angelegten Chamissoplatz (nach Adelbert von Chamisso benannt), dessen Mittelinsel seit 1990 als sehr großer Spielplatz gestaltet ist. An der Oberseite des Platzes in der Willibald-Alexis-Straße steht – hinter einer Litfasssäule verborgen – eine alte, grüne, gusseiserne Schwengelpumpe. Auf der der Pumpe nächstgelegenen rechten Seite des Platzes findet samstags ein Wochenmarkt für Bioprodukte aus der Region Berlin-Brandenburg statt. Geht man nun zurück zur linken Seite der Mittelinsel und den Bürgersteig hinunter, trifft man an der Ecke Arndtstraße auf eine der wenigen in Berlin noch erhaltenen grün bemalten eisernen Bedürfnisanstalten (ein Pissoir, im Volksmund Café Achteck genannt). Nach links gehend gelangt man an die Ecke Arndt-/Nostitzstraße. Letztere kann man von hier über die Bergmannstraße hinaus bis zur Gneisenaustraße überblicken.

Nun überquert man diagonal die Arndtstraße und läuft auf ihrer linken Seite zurück am Chamissoplatz vorbei bis zur Schenkendorffstraße, die zur Bergmannstraße führt. In der Schenkendorffstraße 7 wurde Peter Lorenz (Westberliner CDU-Politiker) im Jahre 1975 von der anarchistisch-terroristischen „Bewegung 2. Juni“ im Keller gefangen gehalten. Schräg gegenüber der Einmündung zur Schenkendorffstraße liegt das Büro der Mieterberatung (Öffnungszeiten: Donnerstags 11-13 und 15-18 Uhr) des Chamissokiezes, worin eine interessante Ausstellung zur Entwicklung desselben zu finden ist. Weiter geht es die Arndtstraße entlang bis zur Friesenstraße, in die man rechts einbiegt und hoch läuft bis zur Willibald-Alexis-Straße. Dann geht man diese entlang bis zur Kloedenstraße, die links zur Fidicinstraße hinauf führt. An diesem Punkt hat man einen guten Überblick über den Rest der Willibald-Alexis-Straße, bevor man in die Kloedenstraße einbiegt und bis zur Fidicinstraße hinauf läuft, um entlang dieser wieder zum U-Bahnhof „Platz der Luftbrücke“ zu gelangen.

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