Denkmalkultur privat

Michael Laschke

Die Waldsiedlung Lichtenberg in Karlshorst ist ein kleines, vielfach unbekanntes Werk eines großen Baukünstlers – des Architekten Peter Behrens. KulturNews veröffentlichte dazu einen Beitrag von Jürgen Weyda (Septemberheft 2009). Peter Behrens schuf die Siedlung seit 1919 im südlichsten Teil von Karlshorst, am Hegemeisterweg. Den Beschluss, hier eine große Reihenhaussiedlung zu errichten, die als Vorbild für das Berliner Umland gedacht war, hatte die Stadt Berlin Lichtenberg schon 1914 gefasst. Verschiedene Entwürfe wurden dafür eingeholt, jedoch verzögerte der Beginn des Ersten Weltkrieges das Bauvorhaben. Behrens hatte einen Entwurf für großzügig gestaltete Einfamilienhäuser in einem geschlossenen Komplex mit Freiflächen und gegliederten Straßenzügen vorgelegt.

Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Baukosten gestiegen, das Projekt von Behrens wurde abgespeckt. Nicht mehr Einfamilien-, sondern Reihenhäuser waren jetzt geplant. Behrens gestaltete die Häuser in einfacherer Form, setzte aber mehr Farbe ein. Die Bauausführung lag in den Händen von Dr. Rudolf Gleye (1881-1929). Nach ihm wurde der Gleyeweg in der Siedlung benannt.

Die für die damaligen Verhältnisse großzügig gebauten Einfamilienhäuser hatten je nach Typ vier Zimmer, Küche, Bad, Waschküche, gesonderte Toilette, einen Gartensitz (Veranda) und im Dachgeschoss ein Mansardenzimmer. Zugehörig war ein 150 bis 300 m² großer Garten mit einem kleinen Stallgebäude für die Haltung von Kleintieren. Zusätzlich gab es mehrere Vier-Familien-Häuser mit kleineren Wohnungen. Geplant war die Anlage eines Sportplatzes. An der Industriebahn sollte eine Haltestation errichtet werden, um die Bewohner der Siedlung mit Kartoffeln und Brennmaterial zu versorgen. Auch für den Bau einer Schule und einer Apotheke wurde Bauland reserviert.

Von den geplanten rund 500 Wohnungen wurden jedoch nur 117 Wohneinheiten im Hegemeisterweg, das Ladenhaus in der Liepnitzstraße, im Drosselstieg, im Gleyeweg und im Fuchsbau fertiggestellt.

In den zurückliegenden Jahren boten die Geschichtsfreunde Karlshorst im Kulturring in Berlin e.V. jeweils zu den Tagen des offenen Denkmals im September Führungen durch die Waldsiedlung an, die auf großes Interesse stießen. In jedem Jahr nahmen „Peters-Behrens-Fans“ aus den verschiedensten Berliner Bezirken teil. Viele von diesen erklärten, die Waldsiedlung von Peter Behrens bisher gar nicht gekannt zu haben.

Im September 2011 endete die Führung durch die Waldsiedlung mit einem besonderen Höhepunkt: Die Enthüllung einer Denkmaltafel zur Waldsiedlung, die durch Michael Piontek und seine Familie vollständig privat initiiert, organisiert und finanziert wurde. Die Teilnehmer der Führung nahmen diese Mitteilung mit viel Beifall auf.

Über die Gründe für ein solches, selten anzutreffendes Engagement befragt, sagte Michael Piontek: “Wir, meine Frau und ich, sind mit unseren drei Kindern 2009 nach Karlshorst in die Waldsiedlung gezogen. Wir haben uns absichtlich für ein historisches Gebäude unter Denkmalschutz entschieden, da wir die Wohnatmosphäre angenehmer und wohnlicher empfinden als in eher sterilen Neubauten. Die Sanierung erfolgte in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit der Denkmalschutzbehörde – namentlich sei hier Frau Blankenfeld genannt und gedankt. Wir haben nicht nur im Außenbereich, sondern auch im Hausflurbereich historische Elemente erhalten und erneuert, um den historischen Zustand erkennbar zu halten. Dennoch ist es gelungen die historische Bausubstanz mit modernen Wohnanforderungen in Einklang zu bringen. Die Waldsiedlung hat uns gleich beeindruckt. Bekannte sagten‚ es sehe aus wie in der Toskana. Neben dem aktuellen Erscheinungsbild war für uns aber auch die Entstehungsgeschichte dieser Wohnanlagen interessant. Wer hat hier einmal gewohnt? Wie wurde damals hier gelebt? Wie kam es zu der Errichtung der Siedlung? Dass es bereits damals Bestrebungen eines sozialen Wohnprojektes gab und damit die ‚einfachen’ Leute mit modernen Wohnstandards versorgt werden sollten, überrascht viele Menschen heutzutage. Dass die Wohnhäuser bereits mit modernen Komponenten bis zum Gasanschluss zum Kochen ausgestattet wurden, ist ebenfalls beachtlich. Wir möchten helfen, dieses Wissen zu erhalten, die historischen Hintergründe auch für die heutigen Bewohner und Interessierte nachvollziehbar und ‚lebendig’ zu halten. Daher ist eine solche bebilderte Gedenktafel sehr geeignet, ein wenig der früheren Atmosphäre und der Hintergründe zu transportieren. Meine Frau und ich freuen uns, hier etwas zur Erinnerung beitragen zu können.“

Seit der Enthüllung der Tafel sind einige Wochen verstrichen. Die Aufmerksamkeit für sie ist geblieben. Wie uns Familie Piontek berichtet, gibt es viele Interessierte, Fußgänger und Fahrradtouristen, die an der Denkmaltafel auf dem privaten Grundstück an der Ecke Drosselstieg/Glyeweg verweilen und auch versuchen, einmal einen Blick ins Innere des Hauses zu werfen. „Damit muss man leben“, sagt Frau Piontek zu Letzterem. Wir sagen, dass es keinen schöneren Beleg geben kann, wie private Denkmalkultur öffentliche Anerkennung findet. Familie Piontek ist für ihren Beitrag zur Denkmalpflege, zur Verbreitung geschichtlichen Wissens und zur Förderung der Ortsverbundenheit herzlich zu danken.

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