Gedanken zur Kommunikationskultur im Zeitalter der Digitalen Revolution

Hanno Schult

Unser Staatsoberhaupt Frank Walter Steinmeier wies in seiner Weihnachtsansprache 2018 zurecht darauf hin, dass wir wieder lernen sollten, einander zuzuhören und miteinander zu sprechen. Damit fasste er etwas verspätet in Worte, was  nicht nur der Generation „Twitter, ‚Whatsapp’ & Co“-Ante schon seit geraumer Zeit erhebliches Unbehagen bereitet, nämlich der beschleunigt gefühlte Niedergang unserer gegenwärtigen Kommunikationskultur. Als er in seiner Ansprache aktives Zuhören und eine neue Diskussionskultur anmahnte, bezog er sich dabei auch indirekt auf das erste Gebot richtiger Nachrichtenübermittlung: Du sollst stets empfängergerechte Kommunikation betreiben! Denn was den meisten Zeitgenossen nur wenig bekannt sein dürfte, nicht nur in der Bibel gibt es zehn Gebote, sondern auch in der Kommunikation, denn diese enthalten Richtlinien und Hinweise zur richtigen Form der Nachrichtenübermittlung, wie sie sich evolutionär im Laufe der Jahrtausende entwickelten und die Kultur der Kommunikation in unserer Zivilisation geprägt haben. Der Wortstamm des Kommunikationsbegriffes stammt dann auch nicht zufällig vom lateinischen „Communicationis“ ab und bedeutet soviel wie Nachrichtenübermittlung und -austausch.

Im Zeitalter der allgegenwärtigen Dominanz modernster Kommunikationshilfsmittel in unserem Alltag machen sich nur die allerwenigsten Menschen Gedanken über das Alter der Kommunikation und stellen sich die Frage: Seit wann kommunizierte der Homo Sapiens untereinander? Die Antwort dürfte auch heute noch viele überraschen: Der Homo Sapiens kommunizierte schon, bevor er sich mit dem Idiom des gesprochenen Wortes untereinander besser verständlich machen konnte und eine gemeinsame Sprache fand! Denn auch Mimik, Gestik, Gebärden, Gerüche, Aussehen, Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie die Anwendung unserer fünf Sinne sind Formen und Mittel der Kommunikation! Daraus ergibt sich eine weitere unbequeme Wahrheit für viele Zeitgenossen, die da meinen, nicht mehr zu kommunizieren, wenn sie z. B. das eigene Smartphone auf „offline“ stellen. Wir, die sozialen Produkte der Evolution mit Menschenantlitz kommunizieren immer und zu jeder Zeit untereinander und das, ob wir wollen oder nicht! Der Nachrichtenaustausch der Menschen untereinander findet dann auch auf verschiedenen Ebenen statt und wird mehr bestimmt durch die biologische Struktur unseres Gehirns als durch die „richtige“ Anwendung entsprechender Kommunikationshilfsmittel. Im Prinzip kommunizieren wir stets auf zwei Ebenen, nämlich der Sachebene – oder auch auf der Ebene unseres Verstandes – und der emotionalen Ebene, die sich aus Kräften der Seele und dem uns allen vertrauten „Bauchgefühl“ speist.
Und wer von uns stand noch nicht vor der Entscheidung, beim Verfassen einer wichtigen Senderinformation, ob mündlich oder schriftlich, sich zuerst auf das eigene Bauchgefühl zu verlassen? Andere untergeordnete Ebenen der emotionalen Kommunikation sind die Selbstoffenbarungsebene, Appellebene und – am wichtigsten für den Austausch von Nachrichten untereinander – die Beziehungsebene oder auch als die „Du-und-Wir-Ebene“ bezeichnet. Und wer von uns kennt nicht den inneren Wert des Ausspruches, dass die „Chemie stimmen muss“ in einer Beziehung privater oder beruflicher Natur? Darüber hinaus sind wir sind uns oft nur wenig bewusst über die banale Tatsache, dass, wenn die „Chemie“ in einer Beziehung nicht stimmt, die Ursachen oft primär in einer falschen Kommunikation zu finden sind, die von einem oder mehreren Kommunikationspartnern praktiziert wird. Genau das stand hinter der Mahnung des Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier und seiner Forderung zum Weihnachtsfest 2018, dass wir wieder das aktive Zuhören in den Mittelpunkt unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens stellen müssen, um einer weiteren Spaltung der Gesellschaft im Zeitalter von „Fake News“ und künstlicher Intelligenz entgegenzusteuern. So erleben wir nicht nur in den sozialen Netzwerken, sondern auch in der Welt der Medien, dass die Schieflage zwischen der Kommunikation auf Verstandsebene und der emotionalen Ebene immer mehr unsere Kommunikationskultur und den Medienkonsum dominiert. Und die Folgen sind dann oft Unverständnis, Misstrauen, Vorurteile, Verunglimpfung und die „Fake News“ in der als fälschlich anonym wahrgenommenen Sphäre des weltumfassenden „Netzes“, in der die Sender-Gerüchteküche permanent angeheizt wird.

Hand aufs Herz, wer von uns hat seinen eigenen Kindern schon erfolgreich vermitteln können, dass sie sich bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken permanent auf der emotionalen Selbstoffenbarungsebene bewegen? Und wir, die wir im Generationenkonflikt selber täglich gefordert sind, wissen wir selber noch zwischen Verstands- und emotionaler Kommunikationsebene zu unterscheiden? Sollte es nicht die Aufgabe der Erziehung und eines so oft geforderten Schulfachs Medienkompetenz sein, die Prinzipien der Aufklärung wieder zur Geltung zu bringen? Auf die Sachebene können wir erst dann wieder zurückkehren, wenn wir uns mit einer Sache auch intensiv beschäftigen und der eigene Wissensschatz ausreicht, um die Dinge im Zeitalter des unkontrollierten „Informations-Tsunamis“ kritisch zu hinterfragen und zuallererst den eigenen Verstand im Diskurs wieder zu gebrauchen. Ob das auch politisch so gewollt ist, bleibt eine offene Frage. Fangen wir aber zuerst bei uns selber an, unsere eigene Kommunikationskultur kritisch zu überdenken, bevor wir andere Menschen mit unseren biologisch vorgefertigten Schubladenbildern einordnen in unsere eigenen, bestehenden Denkmusterstrukturen. Denn Kommunikation als Sender-Empfänger-Modell entlässt den Sender nie aus der Verantwortung, eine Nachricht so zu formulieren, egal in welcher Form, dass sie vom Empfänger auch in seinem Sinne verstanden wird. Im Notfall holen wir uns immer ein Feed-Back vom Empfänger, das kann Zeit und Anstrengung kosten, uns aber dann längerfristig viel Ärger und Missverständnisse ersparen. Und das kennt wohl jeder von uns auch aus eigener praktizierter Kommunikationserfahrung.

Drei Umbrüche veränderten unsere Kommunikationskultur seit den Zeiten, als der Homo Sapiens den aufrechten Gang lernte, um durch das damals noch selbstbestimmte Leben zu kommen:

  1. das gesprochene Wort als Grundlage einer gemeinsam verstandenen Sprache,
  2. die Erfindung des Buchdruckes im Zeitalter der Renaissance,
  3. die industrielle Revolution im XIX. Jahrhundert mit den technischen Erfindungen schneller Nachrichtenübermittlung zu Lande, im und auf dem Wasser sowie in der Luft.

Ob die gegenwärtige Digitale Revolution in der Industrie als Umwälzung auch in die Kommunikationsgeschichte eingehen wird, darüber werden wohl nur kommende Generationen ein abschließendes Urteil fällen können. Es liegt an jedem einzelnen von uns und seinem persönlichen Kommunikationsverhalten, ob die gegenwärtige digitale Ära als Fortschritt in die Geschichte eingehen wird oder aber als zivilisatorischer Rückschritt. Aber bleiben wir trotzdem zuallererst einmal optimistisch.

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