KulTour: Von der Pyramide zur Promenade

Karl Forster

Marzahn ist sicher nicht arm an Hochhäusern. Und doch stellt das 1994 an der Kreuzung Rhinstraße/Landsberger Allee, direkt an der Bezirksgrenze Lichtenberg/Marzahn errichtete Hochhaus etwas Besonderes dar. Eine Glaspyramide verbindet die beiden 69 Meter hohen, 23stöckigen Bürotürme. An den Kanten der Pyramide wandern zwei blaue Lauflichter im Sekundentakt zur Spitze, wo sie sich nach einer Minute vereinigen und einen Lichtblitz auslösen. An den oberen Stockwerken befindet sich die weithin sichtbare größte Uhr Europas, bestehend aus zwölf 7,60 Meter hohen grünen Lichtfenstern. Die Beleuchtung baut sich im Minutentakt auf, nach zwölf Stunden leuchten alle Fenster.

Ein paar Meter weiter zwischen Bahnschienen und der sechsspurigen Landsberger Allee steht ein Plattenbau, dem man von außen nicht ansieht, dass es sich um eine der interessantesten Kultureinrichtungen Berlins handelt, das ORWO-Haus. Niemand, der dieses unscheinbare Gebäude tagsüber von außen sieht, würde vermuten, was an Leben und Kreativität hier drin steckt. Denn in den Abendstunden füllt sich der Parkplatz vor dem Haus, und bis in die Nacht dröhnt laute Musik aus den bunt erleuchteten Fenstern. Tatsächlich handelt es sich hier um das größte Musikerhaus Europas, vielleicht sogar weltweit. Den Namen hat es, weil hier vor der Wende ein Standort des ostdeutschen Film-, Tonband- und Kassettenherstellers ORWO (Original Wolfen) war. Ein kleines Büroteam und ein ehrenamtlicher Vereinsvorstand kümmern sich heute darum, dass sich die mittlerweile über 200 Bands, die hier ihre Heimat haben, weiterhin wohlfühlen. Um den Musikern noch mehr bieten zu können als nur günstige Proberäume, werden regelmäßig Konzerte veranstaltet. Das Highlight ist das jährliche Festival auf dem gesamten Gelände, das am 8. und 9. Juli stattfand. Siebzehn Bands auf zwei Bühnen sorgten zwei Tage lang für gute Unterhaltung. Damit man richtig hinfindet, haben die ORWO-Haus-Betreiber beim Bezirk sogar eine Straßenumbenennung erreicht. Sie residieren jetzt nicht mehr in der „Straße 13“, sondern in der „Frank-Zappa-Straße“.

Auf der anderen Straßenseite der Landsberger – etwas weiter in Richtung Marzahn – kommt man zur Straßenbahnhaltestelle „Gewerbepark Georg Knorr“. Hinter den Büschen an der Haltestelle verbirgt sich das Fabrikgelände des früheren VEB Werkzeugmaschinenfabrik. Dieser Nachlass geht aber noch weiter zurück, nämlich auf die großdeutsche Planung für ein „Germania“. Der Ursprung liegt bei der 1897 vom Kaufmann Karl Hasse und dem Ingenieur Julius Wrede in Berlin gegründeten Fabrik zur Herstellung von Nähmaschinen, Fahrrädern und spezialisierten Werkzeugmaschinen. Schon in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre entstand der Plan für ein neues Werk in Marzahn. Zu dieser Zeit war die neu erbaute Halle die damals größte Werkzeugmaschinenhalle Europas. Auf einer Fläche von 40.000 qm waren über 4000 Mitarbeiter beschäftigt. Albert Speer, Architekt Hitlers und ab 1937 Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt, hatte einen Generalbebauungsplan aufgelegt. Es entstand die Idee einer „Oststadt“ entlang einer U-Bahn-Linie mit dem U-Bahnhof am Dorf Marzahn. Diese Stadt sollte im Raum Biesdorf, Marzahn, Hellersdorf, Hönow und Ahrensfelde entstehen und 445.000 Einwohner fassen. Knapp nördlich der West-Ost-Achse sollte bei Marzahn ein Industriekomplex an einer Stelle entstehen, die für die in Berlin verstreut lebende Arbeiterschaft auf dem Schienenwege auf kurzem Weg erreicht werden konnte. Im Kriegsjahr 1942 wurde das neue Werk fertig, das ab dem 1. Mai 1944 den Titel „nationalsozialistischer Musterbetrieb“ führte. Nahe dem Werksgelände entstanden auch zwei Zwangsarbeiterlager. Neben der Außenfassade, typisch im Stil der Zeit gehalten, bekam das Gebäude eine Ehrenhalle hinter dem Haupteingang. Der ganze Stolz war aber die Kantine. Unübersehbar waren an der Stirnwand die Zeichen der Machthaber angebracht: Adler, Hakenkreuz und Zahnrad der Deutschen Arbeitsfront. Das Gebäudemittelschiff hinter dem Haupteingang wurde Ende der 1990er Jahre unter der Bezeichnung „Georg-Saal“ bekannt und für zahlreiche öffentliche Veranstaltungen genutzt. Heute wird der Saal ebenso wie die Empfangshalle nur noch gelegentlich für firmeninterne sowie wirtschaftspolitische Veranstaltungen genutzt.

Nur ein paar Schritte sind es vom Knorr-Gelände zum neuen Einkaufstempel Marzahns, dem Eastgate. Das davor liegende Kinocenter sollte einmal das „Freizeitcenter Le Prom“, angelehnt an die Marzahner Promenade, die hier beginnt, werden. Doch neben Kino, Disko und Bowling finden kaum Veranstaltungen statt.

Die Marzahner Promenade führt nun von hier bis zum Freizeitforum Marzahn. Zumindest in der ersten Hälfte ist es inzwischen eine erholsame, grüne und bunte Promenade geworden. Gleich am Anfang findet man die Galerie M, eine kommunale Galerie, deren Existenz allerdings auch immer wieder in Frage gestellt wird. Neben Buchhandlungen und Haushaltwaren werden hier leer stehende Räume inzwischen Künstlern als Werkstatt und Galerie zur Verfügung gestellt. Doch oft muss man genau hinsehen, um unterscheiden zu können, ob hinter den Glasscheiben eine Künstlerwerkstatt oder nur der Umbau eines Verkaufsraumes steckt. Je trister die Promenade wird, desto näher kommt man dem Freizeitforum, und dort gerät man erst mal auf eine große Baustelle. Der Platz wird komplett neu gestaltet. Vermutlich jedoch auch wieder ohne Grünfläche. Aber auch das Gebäude selbst, mit Schwimmbad, Veranstaltungsräumen, einem Saal für große Kulturveranstaltungen und auch die Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung sowie der städtischen Bibliothek, ist im lang andauernden Umbau befindlich. Voraussichtlich mindestens bis zum Jahreswechsel wird deshalb auch die Bibliothek geschlossen bleiben.

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