Frieden wagen,

Ingo Knechtel

schrieb unlängst ein Besucher des evangelischen Kirchentags auf ein Blatt des Wunschbaums am Kulturring-Stand. Zwei Worte, die vom Mutschöpfen nach gar mancher Enttäuschung zeugen, die auffordern und mitnehmen wollen. Der die Worte schrieb, ist sich der Schwere der Aufgabe bewusst, sieht er doch die tägliche Gewalt vor Augen, in Familien, auf den Straßen, auf Monitoren. Er ist sich im Klaren darüber, welch mächtige Interessen seinem Vorhaben entgegen stehen, Ausbeuten von Ressourcen, Einflusssphären, Verdienst am Töten. Er kennt das Risiko, gilt es doch, zu den Ursachen von Gewalt, von Kriegen vorzudringen, Spiralen von Vergeltung und Rache zu durchbrechen – und den Schleier von Propaganda, Desinformation und Lüge zu lüften. Gerade weil er weiß, dass Krieg spielen und Krieg führen nicht das gleiche ist, dass ein „no future“-Gefühl nicht automatisch zu Wut und Hass führt, dass es keine „Kultur der Faulheit“ gibt, von der Londons Bürgermeister spricht und die er mit eiserner Faust bekämpfen will, gerade deshalb gibt er nicht auf. Frieden ist mehr als das Schweigen der Waffen, egal wo sie auf dieser Welt eingesetzt werden. Es ist der Ruf nach einem respektvollen Zusammenleben der Menschen, das es ihnen ermöglicht, frei und individuell ihr Leben zu gestalten, Probleme gemeinsam zu lösen und die Umwelt als auch zukünftige Lebengrundlage zu achten und zu schützen. Dieser Ruf ertönt von Musikern, die Beethovens 9. Sinfonie an der Nord-Südkoreanischen Demarkationslinie aufführen, er erreicht uns beim Berliner Literaturfestival von Liao Yiwu aus China und ist ein Vermächtnis Christoph Schlingensiefs mit seinem Operndorf-Projekt in Afrika. Er kommt von den vielen Tausend, die täglich ohne viel Aufsehen anderen helfen. Frieden wagen ist eine Aufforderung an uns alle, es ist ein Ruf nach Gemeinsamkeit, nach Beteiligung, nach mehr Demokratie!

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