Begegnungen

Ingo Knechtel

Manchmal sind sie zufällig; manchmal rechnet man damit. Manchmal werden aus ihnen bleibende Kontakte und Beziehungen, die den eigenen Lebensweg beeinflussen. Karl-Heinz Schulmeister gehörte mit zu den ersten, denen ich begegnete, als ich 1985 meine Arbeit beim Kulturbund begann. In dieser Zeit habe ich ihn als einen äußerst klugen, stets interessierten, toleranten und freundlichen Menschen kennen gelernt. Unsere Begegnungen in den letzten Jahren waren seltener, meist waren es Geburtstage oder Trauerfeiern, bei denen wir uns trafen. Doch ich wusste in all den Jahren nach 1990, dass sich Karl-Heinz Schulmeister, der frühere Vizepräsident und 1. Bundessekretär des Kulturbunds, intensiv mit der Zeit seines Wirkens für diese traditionsreiche Kulturorganisation in der DDR beschäftigte, dass er Vieles kritisch hinterfragte, sich mit Dokumenten und Erinnerungen aus damaliger Zeit in unzähligen Stunden im Archiv der Parteien und Massenorganisationen (SAPMO) beim Bundesarchiv befasste und dass er in regelmäßigen Gesprächsrunden im Kulturring in der Baumschulenweger Ernststraße mit damaligen Zeitzeugen seine Erkenntnisse austauschte.

Nunmehr legte Karl-Heinz Schulmeister, von vielen dazu ermutigt, ein Buch unter dem Titel „Begegnungen im Kulturbund“ vor. Ich lese ein voran gestelltes Zitat von Francois Mitterand („Es ist ungerecht, Leute nach ihren Fehlern zu beurteilen, die sich aus dem Geist einer Epoche erklären“), und hoffe, dass sich der Autor nicht auf den Weg der Rechtfertigung begibt. Sicher wurde er, der gerade nicht zu den Hardlinern gehörte, der auf freien Meinungsstreit und Ausgleich stets Wert legte, in den sog. Wendejahren zu Unrecht verleumdet und verdächtigt. Mit seinen nunmehr 85 Lebensjahren hat er den Abstand und die Weisheit des Alters auf seiner Seite, um Irrtümer und Fehler auch als das zu bezeichnen, was sie waren.

Schlage ich sein Buch auf, fällt mir auf, dass er sich ganz bewusst mit Anderen befasst, mit Menschen, die auch sein Leben – wie das vieler anderer Deutscher in der DDR – beeinflusst haben. „Das Leben der Antifaschisten, die vor allem meinen Weg bestimmten, wollte und musste ich würdigen. Sie dürfen nicht vergessen werden! Es sind Lebensbilder aus sehr individueller Sicht, die nur zum Teil die historischen Verdienste und Versäumnisse der Persönlichkeiten darstellen,“ so Schulmeister. Zu diesen Menschen gehören natürlich Johannes R. Becher, auch Alexander Abusch, Arnold Zweig, Willi Bredel, Ehm Welk und Manfred von Ardenne. Schulmeister erinnert sich an Erich Wendt und Theodor Brugsch, er berichtet über Paul Wandel und Karl Kleinschmidt. Besonders beeindruckt haben mich die Zeilen über Max Burghardt, den langjährigen Intendanten der Berliner Staatsoper, der von 1957 bis 1977 Präsident des Kulturbunds war. Seine Worte, Kultur müsse zu den Menschen kommen, in jeden Wohnort, an die Arbeitsplätze – davon ist vieles noch heute von großer Aktualität. Ebenso spannend fand ich die Schilderungen zu dem Lyriker Franz Fühmann, dessen große Verdienste und dessen „innerer Emigration“. Welch immensen Einfluss die damaligen sowjetischen Kulturoffiziere auf den geistigen Neubeginn nach 1945 in Deutschland hatten, wird in dem Lebensbild über Sergej Iwanowitsch Tjulpanow deutlich. Schulmeister macht hier nicht halt vor Brüchen und Irrtümern, er schildert Wiederbegegnung und überraschende Erkenntnisse Anfang der 1980er Jahre.

Sicher war es nicht das Anliegen des Autors, Macht- und Entscheidungsstrukturen im Kulturbetrieb der DDR zu analysieren, darunter auch den Umgang der SED mit Organisationen wie dem Kulturbund. Es wäre dies ein anderes Thema (obwohl es durch all die Lebensbilder durchschimmert, eigentlich immer präsent ist). Ganz sicher jedoch bringt uns das Werk auch das Leben, die Leistungen, die Erkenntnis über eigenes Versagen des Autors selbst näher, es tut dies auf eine nicht vordergründige, unspektakuläre und stets interessante Weise. Das Buch bietet viele Einblicke in das Denken der Intellektuellen der Gründerjahre der DDR, ihr Engagement und ihre Zweifel – und schließlich ihre Parteidisziplin. Für Leser, die die DDR nicht selbst erlebt haben, bietet das Buch erhellende Einblicke in ein heute kaum mehr vorstellbares System zwischen Parteidiktatur und menschlicher Größe, ist es ein Wissensfundus, den man sich kritisch aneignen sollte, selbst wenn man nicht in allem die Meinung des Autors teilt.

Angesichts des vom Autor Kritisierten und sicher auch Kritikwürdigen zum Umgang mit dem jüngsten Kapitel deutscher Geschichte, im Gefühl von Enttäuschungen und Wut über die Missachtung von Lebensleistungen und die Abwicklung kultureller – und nicht nur kultureller – Einrichtungen, ist die Betrachtung und Beurteilung des Gewesenen stets auch ein Blick nach vorn: denn seit 1990 ist undenkbar viel Neues, in reicher Vielfalt, entstanden, und es entsteht jeden Tag neu. Und es gibt immer wieder Begegnungen mit drangvollen, engagierten Menschen, die dafür sorgen, dass auch zukünftige kulturelle Leistungen und Werke von Kreativität, von Humanität und Würde gekennzeichnet sind.

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