Verantwortung ist keine Floskel

Dr. Gerhard Schewe

In ihrem neuesten Buch Stadt der Engel erinnert sich Christa Wolf daran, wie sie mit acht Jahren – das war 1937 – leidenschaftlich Grimms und Andersens und Hauffs Märchen gelesen habe, um dann fortzufahren: „vielleicht hat mich das vor dem Schlimmsten bewahrt.“ Vor dem Schlimmsten? Vielleicht ein Nazi zu werden, ein Mensch ohne Moral, ein Gleichgültiger?

Es ist die alte und immer wieder neue Frage nach der persönlichkeitsprägenden Rolle von Kunst und Kultur. Bei der Autorin lautet sie konkret:: „Ob diese Märchen einen Grund legen können für die Anteilnahme gegen Unrecht? Für das Unterscheidungsvermögen zwischen Gut und Böse?“ Der leise Zweifel, der aus ihren Worten spricht, ist sicher nicht unbegründet.

Und dennoch! Gerade als ich das Buch las, erreichte mich die Nachricht von dem drohenden Aus für den Medienpoint in Steglitz, und ich stellte mir ein achtjähriges Mädchen von heute vor, auch eine leidenschaftliche Leserin, die keinen anderen Zugang zu Büchern hat als diese Einrichtung und durch deren Wegfall Schaden für ihr ganzes weiteres Leben nehmen könnte.

Wer würde das dann verantworten? Wer, wenn die Zahl der real Betroffenen – Akteure und Nutzer – sehr viel größer wäre, wie etwa im Fall des ebenfalls bedrohten Kreativpoints für Kinder und Jugendliche in Marzahn oder gar des Kulturforums Hellersdorf?

Allen Widrigkeiten zum Trotz sind Mitglieder und Mitarbeiter des Kulturrings mit viel Mühe, Hingabe und Liebe dabei, diese und andere Bausteine der kulturellen Infrastruktur unserer Stadt zu erhalten und weiterzuführen. Ihr Enthusiasmus kann Berge versetzen, wenn es Not tut. Aber Geld und Stellen herbeizaubern kann er nur bedingt. In dem Punkt muss die Mitverantwortung der Politik für das hohe und schützenswerte Gut Kultur angemahnt bleiben.

Kürzungen, Streichungen und dergleichen damit zu rechtfertigen, dass es hierzu keine Alternative gäbe, ist nicht mehr zulässig, seit „alternativlos“ zum Unwort des Jahres gewählt wurde. Zu jeder schlechten Maßnahme lässt sich auch eine weniger schlechte und vielleicht sogar eine gute finden, also eine Alternative, eine Lösung. Man muss es nur wollen!

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