Nachhaltig

Ingrid Landmesser

Brasilien ist bekannt wegen des ausgelassen gefeierten Karnevals in Rio de Janeiro, des Fußballs, der tropischen Regenwälder und der damit verbundenen Naturschutzinitiativen zur Rettung des von der Abholzung bedrohten Naturraumes. Copacabana ist der bekannteste Stadtteil von Rio de Janeiro. In der indigenen Sprache bedeutet er „Sicht auf den See“. Kein anderer Strand der Welt ruft so viel Sehnsucht hervor. Das Luxushotel Palace ist beliebt bei den Reichen und Schönen.
Für „Peter Bauza – Copacabana Palace“, eine Ausstellung in der Fotogalerie Friedrichshain, gab es für das St. Elisabeth-Stift wieder eine Einladung vom Kulturring in Berlin e. V. Das Thema verspricht bunte Bilder einer Welt, die uns fremd ist, aber neugierig macht. Seifenopern sind beliebt. Also geht es wieder einmal mit Bewohnern, Mitarbeitern und Ehrenamtlern in die rollstuhlgerechte Einrichtung des Kulturrings am Helsingforser Platz.

Für die weltweit erfolgreiche Serie Copacabana Palace wurde der Fotograf Peter Bauza 2017 unter anderem mit dem World Press Photo Award in der Kategorie „Contemporary Issues – Stories“ ausgezeichnet. Aber anders als erwartet zeigten die Bilder alles andere als die Welt der Reichen und Schönen. Copacabana Palace ist der Spitzname von besetzten Bauruinen, die vor 30 Jahren für die Mittelschicht gebaut, aber nie fertiggestellt wurden. Trotzdem wohnen Menschen darin. Ein vergessener Ort, etwa 60 Kilometer westlich von Rio de Janeiro,  in dem mehr als 1.000 obdachlose Menschen leben – ohne fließendes Wasser oder Elektrizität. Es sind die, die sonst keine Bleibe finden.

Peter Bauza sagt dazu: „Der Name ist ironisch gemeint. Ich habe das Wort auf einem Graffiti an einer Wand entdeckt. Es ist die Hölle, aber es gibt auch Leben und Freude dort und nicht nur ein Dahinvegetieren.“  Der Fotograf lebte über Monate dort mit den Menschen. Über seine Motivation äußerte sich P. B.: „Es ging mir nicht darum, noch mehr Elend zu zeigen, sondern das tägliche Leben dieses versteckten und ausgegliederten Teils der Gesellschaft.

Ich wollte ihre Herausforderungen, Nöte, Bedürfnisse und Ängste festhalten, aber auch ihre Kraft, Lebensfreude, Hoffnung, Gefühle und den Zusammenhalt, um vielleicht über diese Umwege auch Veränderungen zu ermöglichen. Kein Mensch wird als Hausbesetzer oder Obdachloser geboren. Die Gesellschaft und Politik leitet diese Wege ein.“

Für die Bilder des Fotografen prägt Stephan Scholz aus dem Wohnbereich „Regenbogen“ des St. Elisabeth-Stifts den poetischen Begriff „verwesende Farben“. Stephan selbst ist mit malerischem Talent ausgestattet, das er in letzter Zeit leider vernachlässigt. Die Bilder provozieren zu lebhaften Kommentaren. Die so anderen Lebenssituationen werden angeregt ausgewertet. Eine Besucherin schreibt in das Gästebuch: „Die Bilder zeigen nicht nur das Elend, wie die Menschen dort leben, sondern auch die Schönheit, den Willen zu leben und zu lieben, Spaß zu haben und zu feiern. Ich werde nie aufhören zu hoffen.“ Und andere: „Die Fotos lösen Betroffenheit aus und man ist erstaunt darüber, dass die Menschen sich ihre Lebenslust erhalten.“

Wunderbar fotografiert. Die Bilder zeigen, wie ähnlich wir Menschen doch sind. Wenn Bilder mehr als Worte sagen, ist alles gesagt. Ich bin froh, Einiges von unserem Besuch mit der Kamera festgehalten zu haben. So bietet der fertige Film doch reichlich Stoff zu Diskussionen, gerade auch in der „Jungen Pflege“.

Im Januar begegne ich einem jungen Mann im Wohnbereich „Regenbogen“. André ist Schüler der 10. Klasse und Brasilianer. Stephan und ich zeigen ihm den Film über die Ausstellung. An Stephans Computer schneiden wir auch manchmal die „einfacheren Filme“ unseres „Hausgemachten Kintopps“. Soweit möglich, ist Stephan in die Filmarbeit mit einbezogen. André zeigen wir den Film mehrmals, weil er der deutschen Sprache nicht so mächtig ist, aber die Bilder, die er im Film sehen kann, sprechen ihre eigene Sprache.

Was er dort sieht, entspricht sicher nicht seiner eigenen Lebenserfahrung, aber wir geben ihm das Mai-Heft der Kultur News 2018 mit. Dort gibt es einen Artikel über die Ausstellung. Den kann er mit Mitschülern und Eltern auswerten. Im Internet gibt es mehr darüber (über den Fotografen und seine Bilder).
Seit Januar hat Brasilien einen neuen Präsidenten. Der hat es sich zur Aufgabe gemacht, alles Progressive zurückzudrehen. Ein Knackpunkt dafür: Brasiliens Schulen, in denen Fächer auf den Stundenplan kommen, die zuletzt zu Zeiten der Militärdiktatur unterrichtet wurden. Auch für die zahlreichen indigenen Völker Brasiliens, die in Schutzgebieten leben, brechen unter dem neuen Präsidenten schwere Zeiten an. Der Schutzstatus könnte ihnen womöglich entzogen werden. Das passt zu seiner Idee, noch mehr Abholzung im Amazonasgebiet zuzulassen, die ohnehin schon ein großes Problem ist.

Das geht uns alle an in der globalisierten Welt von heute. Nachhaltigkeit ist stets auf die Gegenwart und Zukunft ausgerichtet. Es ist gut, wenn die fortdauernde, weitreichende Wirkung von politischen Entscheidungen gerade mit jungen Leuten diskutiert wird. Zukunft gestalten, liegt in unser aller Verantwortung.

Archiv