Poesie in Bildern – vielsagend oder missverständlich? Anmerkungen zur Ausstellung „...und des Menschen Größe“

Hans Peter Klausnitzer

Dichtung in Bilder(n) zu „fassen“, einem dichterischen Werk mittels Grafik oder Fotografie „beizukommen“: Wie schwierig – und wenn es gekonnt wird – wie spannend und beeindruckend, so wunderbar an- wie aufregend das sein kann, lässt sich seit dem 18. November im Berliner Schloss Biesdorf sehen. Dort wird die vor 30 Jahren vom Kulturbund der DDR angeregte Kunst-Mappen-Edition „...und des Menschen Größe“ zur erneuten Besichtigung gezeigt, weil wiederentdeckt im Kunstarchiv Beeskow von Florentine Nadolni. Bei ihrer Begrüßung der weit über 70 Besucher zur Ausstellungs-Eröffnung konstatierte die Archiv-Leiterin ein spürbares „Flirren im Raum“, weil die Angebote der Ausstellung wie „eine Brücke ins Heute“ wirken. Hatte sie in ihrem Pressetext noch davon geschrieben, dass die Bilder „von Zerrissenheit... und drückender Einsamkeit geprägt“ seien, betonte sie nun zu Recht eine große Freiheit in der Formensprache und wies auf Problemdarstellungen hin, „die auch unser heutiges Nachdenken bestimmen“. Ihr Eindruck einer „spürbaren Melancholie, die von den Bildern und Grafiken ausgeht, ist mir sehr erklärlich, wenn ich an ihre Entstehungszeit – 1988 in der DDR – denke. Damals waren die für Aufträge an Künstler nötigen Gelder und vor allem aber das Vertrauen der Leitung des Kulturbundes nötig, um ein Projekt wie „...und des Menschen Größe“ in Angriff zu nehmen. Als Initiator stand ich dabei in gewisser Weise „zwischen den Fronten“: Ich hatte an 21 Grafiker und Fotografen öffentlich kaum goutierte Texte aus Bechers letztem Gedichtband geschickt, die zur Auseinandersetzung mit dieser Dichtung und deren besonderen Wirkung in der seinerzeitigen DDR-Realität – auch provokativ – herausforderten. Und es war mir klar, dass die um Mitarbeit Gebetenen unbedingt „den Finger in die Wunden legen“ würden, die sich die DDR-Gesellschaft selbst zufügte oder sich hatte zufügen lassen. Gleichzeitig musste ich mit der Furcht engstirniger Genossen vor öffentlicher Kritik rechnen, wollte ein Scheitern des Projekts nicht in Kauf nehmen. Nach Vorliegen der künstlerischen Angebote war dann unmissverständlich sichtbar: Für die vom Dichter hoffnungsvoll beschworene „Größe des Menschen“ gab es keinerlei plakative Bekenntnisse, vielmehr wurde quasi „bildlich“ vermittelt, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit am Ende der 1980er Jahre dringend des Überdenkens bedurfte. So sagte mir Joachim John bei einem Gespräch, dass „wir uns auf dem Weg in die Zukunft verlaufen haben, aber wir dürfen das nicht weiter so laufen lassen“. Sichtbar machte es der Maler in seiner Grafik zu Bechers Gedicht „Wohin“: Ein offensichtlich die Orientierung Verlierender rudert seinen morschen Kahn an ein vermauertes (!) Ufer, er achtet nicht auf die Zeichen der Zeit, nicht auf das vielleicht Glück Bringende in seiner Nähe. Die Aufforderung des Gedichts „...sucht nach dem Sinn des Lebens“ ignoriert er mit sturem Blick auf „den da oben“, doch der weiß mit seinem hilflosen Ignorieren der Realität und Davon-Schweben aus dem Leben scheinbar keine Antwort auf die „verfahrene“ Situation.

Auch Manfred Butzmann hat mich mit seiner so liebevoll wie provozierenden Art davon überzeugt, dass nur die ungeschönte, wenn auch erschreckende Wahrheit künstlerisch gestaltet werden muss, „um Augen wie Herzen zu öffnen und Platz für neues Denken zu schaffen“. Ja, ich habe seinerzeit gezögert, die graue und grausame Darstellung einer geschundenen, menschenleeren „Gegend bei Minsk“ (von ihm selbst erlebt kurz nach dem atomaren Gau in Tschernobyl) als seine „künstlerische Antwort“ auf Bechers zuhöchst utopische Darstellungen einer glückhaften Zukunft im Gedicht „Porträt-Vision“ zu akzeptieren.

Der Fotograf Christian Brachwitz fühlte sich ganz offensichtlich dazu herausgefordert, sich mit Gedichtzeilen Bechers auf seine ganz spezielle Art auseinander zu setzen. In seinen Bild-Angeboten, zu denen er des Dichters Verse eigenhändig geschrieben hat, hält er dessen Hoffnungen sein aktuelles Bild-Erleben der DDR-Wirklichkeit entgegen. Und aus dem (scheinbaren) Landschaftsgedicht „Windflüchter im Darss“ hat er – und das nach meiner Meinung zu Recht – die evidenten Probleme des dogmatisch der jungen Generation aufgezwungenen Festhaltens an längst überholten Traditionen „herausgelesen“.

Bechers verzweifelt-hoffendes Liebesgedicht „'S war nicht die Zeit“ hat die Grafikerin Christine Perthen nach eigener Aussage „ganz nah an sich herangelassen“ (Abb. auf der Titelseite). Als hätte der Lyriker mit eindrücklichem Gestus genau ihre eigene Verzweiflung über eine unerfüllte Liebe gestaltet. Die ins Bild gesetzte Spannung von hingebungsvoller Zuneigung, verbunden mit dem drohenden Zweifel, ob es denn diesmal vielleicht gelingen wird, die mit Sehnsucht erwartete Zweisamkeit zu erreichen. Die  meisterhafte Zeichnerin Perthen hat an diesem Blatt sehr intensiv gearbeitet, und ich bin stolz darauf, einen Zustandsdruck als wunderbares Geschenk erhalten zu haben.

Als letztes will ich meine Aufmerksamkeit auf Uwe Pfeifer, der sich auf Anregung seiner Hallenser Freunde schon seit 1980 mit Bechers Lyrik beschäftigt und echt konfrontative Blätter geschaffen hat, richten. Mit der Grafik „Wolkenschweben“ nahm er Becher auch beim Wort, aber eben als fast mitfühlender, gleich empfindender Maler: Mit suggestiver Kraft zieht er den Betrachter ins Bild dieser Ostsee-Landschaft hinein, fast fühlbar ist die Einsamkeit mit sich selbst, dieses Verloren-Sein, das dennoch ausgehalten werden soll. Hier ist die Trauer des dem Tode nahen Dichters ebenso zu spüren wie der Wille, nicht aufzugeben. Das dargestellte (fast) Ausgeliefertsein an die Natur-Gewalt, das zugleich Furcht und Mut hervorbringt, ist dem Becherschen Nach-Denken über (sein) gelebtes Leben wohl zutiefst nachempfunden.

Und mir scheint, dass Pfeifer Bechers wenig gelungene Gedichtzeile absichtsvoll überlesen hat: Der „ferne zarte Traum“, mit dem der Dichter wohl sich und die Leser trösten will, sowie die larmoyante „Träne, die aus Zeit und Raum rinnt“, will Pfeifer absichtsvoll nicht in sein Bild (das auch eine Anleihe bei Caspar David Friedrich nicht verleugnet) bringen. Er gestaltete sein von ihm selbst mir mitgeteiltes „romantisches Fühlen“ so ganz nahe am Dichterwort fast in Kongruenz zu den lyrischen Bildern. Es fehlt die beim Maler noch öfter spürbare Kühle und Distanz, fast scheint es, als sollte man sie verwechseln, die Einsamen unter dem bedrohlichen Himmel – ist 's nun Becher oder Uwe Pfeifer? Die bedrohlichen Wolken verdecken die „Sicht auf große Tage...des Sieges Gewissheit“ (J. R. Becher), dass der Einsame sich von uns abgewandt hat, vielleicht sogar aus dem Bild und der Erinnerung verschwinden will – sollen wir Mitleid mit dem Dichter haben, vielleicht sogar Verständnis, obwohl Eingeweihte wissen, wie viel Schuld er selbst auf sich geladen hatte?

Aus heutigem Erleben bleibt mir zu sagen, dass es (zu) einfach wäre, das Angebot zu „Elend und Größe“ als End-Zeit-Bilder eines gescheiterten Dichters samt seiner uneingelösten Zukunfts-Versprechen zu interpretieren. Grund genug, sich im Gespräch damit auseinander zu setzen – ein Angebot habe ich gemacht.

Hans Peter Klausnitzer war Sekretär des Arbeitskreises Johannes R. Becher im Kulturbund der DDR. Die Ausstellung im Schloss Biesdorf ist noch bis zm 25. Februar 2019 zu sehen.

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