85 Jahre Villa Skupin: Von quiekenden Schweinen und geheimen Schränken

Sonja Klöden, Antje Mann

Die alte Dame lebt! Die Skupin´sche Villa in Berlin-Lichtenberg, John-Sieg-Straße 13, war schon immer ein gastfreundliches Haus. Wie Gabriele Ziebarth, Enkeltochter des Bauherren der Villa, Paul Skupin, erzählte, waren Freunde und Mitschüler oft zu Besuch und gern gesehen. Am Tag der offenen Tür am 9. Oktober 2010 bestätigte sich diese Gastfreundlichkeit auf eindrucksvolle Weise. Was war das für ein Leben in dem ehrwürdigen Gemäuer!

Die zahlreichen Gäste wollten mehr wissen über die Geschichte des im Stil des Art déco errichteten Hauses. Der Fleischermeister Paul Skupin, welcher in der Kronprinzenstraße 20a, jetzt Jessnerstr. in Friedrichshain, wohnte, hatte etwa 1924 das Grundstück Tasdorfer Straße 9 erworben. Ab 1925 ist er im Berliner Adressbuch als Eigentümer und ab 1926 die Fleisch- und Wurstfabrik von Paul Skupin als dort ansässig verzeichnet. Auf dem Fabrikgrundstück von 711 qm ließ er auch sein Wohnhaus errichten. Die Villa stand damals - ohne Vorgarten - direkt an der Ecke Tasdorfer Straße/ Wuhlestraße. Die Entwürfe für das Haus stammen von dem am 28. Dezember 1890 geborenen Architekten Franz Alcer, der damals in der Boxhagener Straße 18 wohnte und mit der Familie des Bauherrn Paul Skupin gut bekannt war. Paul Skupin selbst wurde am 21. September 1888 geboren und war ab 8. Oktober 1914 als Fleischer tätig. In seiner „Fleisch- und Konservenfabrik“ in Lichtenberg waren 1941 insgesamt 24 gewerbliche und sieben kaufmännische Personen beschäftigt. Auch seine Familie war in dem Unternehmen tätig. Sohn Paul, geboren am 15. Dezember 1915, hatte in der Fabrik von 1931 bis 1934 ebenfalls das Fleischerhandwerk erlernt.

Ab November 1945 wurde die Firma als Großküche für Schulspeisung und als Schweinemästerei weitergeführt. Wie Gabriele Ziebarth berichtete, haben wohl die hungrigen und quiekenden Schweine ab und an die Andacht in der gegenüberliegenden St. Mauritiuskirche gestört. Ab 1. Januar 1955 setzte sich Paul Skupin sen. zur Ruhe und verpachtete die Fabrik an seinen Sohn, der sie bis Sommer 1958 betrieb. Mit Kaufvertrag vom 22. Oktober 1958 gelangte sie samt dazugehörigem Grundstück in den Besitz des VEB Fleisch- und Fettverarbeitung Berlin-Weißensee, Klement-Gottwald-Allee 123. Um Baufreiheit zu schaffen für das Wohngebiet Frankfurter Allee Süd, wurden Anfang der 1970er Jahre die meisten alten Gebäude, wie auch die Fabrik, abgerissen. Als Kleinod blieb die Villa stehen. Sie steht unter Denkmalschutz.Gabriele Ziebarth ist die älteste Enkeltochter von Paul Skupin. Sie hatte zum Tag der offenen Tür noch weitere Familienmitglieder mitgebracht – insgesamt drei Generationen waren vertreten, auch der kleine Ururenkel des Erbauers. So gab es anregende Gespräche, und man konnte erfahren, wie das Haus ausgestattet war, als die Familie Skupin hier wohnte. Alte Fotos dokumentierten dies auf eindrucksvolle Weise. Bei gemeinsamen Rundgängen durch das Haus bewunderten die Besucher die reicht verzierten Stuckdecken in den einzelnen Räumen, bemerkten jedoch auch den desolaten Zustand und betonten mehrfach die dringend notwendige Sanierung des wertvollen Interieurs. Eine Lösung für das Problem ist in Zeiten knapper öffentlicher Kassen jedoch nicht in Sicht.

Allerdings nicht nur alte Geschichten wurden erzählt am Tag der offenen Tür. Denn neues Leben ist eingezogen in das alte Haus. Musikalisch wurden die Gäste schon vor der Tür mit einem Konzert der Extra-Klasse empfangen. Feline Lang & strange company spielten Jazz, Pop und Klassik. Das Team des Kulturrings im Studio Bildende Kunst präsentierte lebendig die Vielfalt der kulturellen Angebote für alle Altersgruppen. Gespannt lauschten die Jüngsten der Geschichte „Der Zauberer von Oz“, gelesen und gespielt von Sophie Neemann. Damit wurde gleichzeitig der „Startschuss“ gegeben für ein neues Vorleseprojekt unter dem Titel „Das mobile Märchenbuch“. Kinder im Kita- und Grundschulalter sollen künftig regelmäßig kostenlose Vorlesestunden angeboten bekommen. Voll konzentriert fertigten große wie kleine Künstler unter der Anleitung von Christa Gusko eigene kleine Gemälde oder Basteleien. Wer sich selbst künstlerisch verewigt sehen wollte, hatte dazu Gelegenheit beim Porträtzeichnen von Tatjana Kan. Schwierig war für manches Modell nur das längere Stillsitzen, aber Kunst fordert nun mal Opfer! Tatjana Kan unterrichtet viermal in der Woche Kinder und Jugendliche im Malen und Zeichnen. Elena Belenkaia führte interessierte Kinder durch die Ausstellung des Hauses und erklärte ihnen, was eine Galerie ist. Dicht umlagert war der Tisch von Maja Feustel und Georg Bothe vom Grafik-Collegium des Studios. Mit Spannung verfolgten Besucher die Demonstration der Entstehung einer Druckgrafik. Bereits seit zwanzig Jahren ist die Druckwerkstatt unter der Leitung des Künstlers Stefan Friedemann beständiger Ort des Austauschs und der künstlerischen Begegnung. In den Kursen treffen sich Hochschulanwärter, interessierte Jugendliche, ambitionierte Laien und Profis zu intensiver künstlerischer Arbeit. Die Kursteilnehmer präsentieren in regelmäßigen Abständen Ausschnitte ihrer künstlerischen Produktion.

Bestaunt wurden die zahlreichen Bilder des Zirkels „Öl- und Acrylmalerei“ von Erika Krausnick. Die Mitglieder der Gruppe treffen sich immer montags im Atelier mit dem schönen Erkerfenster aus grünem Glas. Dabei wird natürlich vor allem gemalt, das gemeinsame Kaffeetrinken und anregende Gespräche sind aber genauso wichtig und dienen dem sozialen Zusammenhalt der Gruppe.

Zwischen den vielen künstlerischen Angeboten zum Ansehen, Anhören und Mitmachen war für das leibliche Wohl der Gäste gut gesorgt. Spannend endete der Abend mit der Lesung von Regine Röder-Ensikat im ehemaligen Herrenzimmer. Ihre neuesten Krimi-Erzählungen aus verschiedenen Publikationen wurden allerdings von lauter Frauen belauscht, die sich bei den köstlichen Geschichten gut amüsierten. Bezeichnenderweise saß die Vorleserin vor dem in die Wandtäfelung eingelassenen, kaum sichtbaren Geheimschrank des ersten Hausherren der Villa Paul Skupin. Welchem Zweck dieser einst gedient haben mag, bleibt jedoch ein Geheimnis.

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