Literatur satt

Henning Hamann

In der Dämmerung der Steglitzer Deitmerstraße signalisierten die Teelichter den Weg zur ersten Literaturwerkstatt im Souterrain des dortigen Medienpoint. Den Kopf einziehend und die Stufen abwärts überwindend, erwartete die 47 gespannten Literaturhungrigen ein gemütliches Wohnzimmer mit Bibliothekscharakter. Gerade diese Atmosphäre schaffte problemlos den Rahmen für ein dreistündiges Autorentreffen mit musikalischer Garnierung der Extraklasse, unplugged versteht sich.

Max Prosa, ein 21jähriger Berliner Sänger und Songwriter, der an den jungen, vitalen und späteren Welteroberer Doors-Frontman Jim Morrison erinnerte, zog mühelos mit seiner Rio- Reiser-Stimme und entsprechenden „Visionen von Marie“ und „Schöner Tag“ alle in seinen Bann, ja, es war weit mehr als nur eine musikalischer Auflockerung. Der Autor des „Lexikon der Serienmörder“, Peter Murakami, hatte die undankbare Aufgabe eines literarischen Wellenbrechers, eines im allgemeinen als Vorprogramm bezeichneten Teils. „Wärter, Wurst & Widerstand“ beinhaltete seine Knastarbeit mit „Bilder in Tüten“ zählend, mal 8, mal 9, mal 10, je nach Lust und Laune mit entsprechenden fatalen Folgen. Sophie Katz, die zweite Autorin, nahm die Besucher mit auf die Fähre nach Griechenland und hetzte sie durch ihre recht intime Gefühlswelt. Es entstand manchmal der Eindruck, dass die 30jährige Dramaturgin aus Gießen erst beim Vorlesen entschied, diese intime Welt beim Namen zu nennen, was ihre Sitznachbarin mit „ganz schön mutig“ kommentierte und jeder Braeburn-Apfel über den erröteten Kopf der Autorin vor Neid seine „Reifeprüfung“ einstellte.

„Ich werde nicht so detailreich erzählen, wie meine Vorgängerin Sophie Katz“ war die einleitende Botschaft der dreifachen Mutter Heike Klar, die uns dafür mitnahm auf ihre Traumreise nach Alaska. Nur lag dieses Alaska 13.500 km weiter südlich am Indischen Ozean und hieß Kenia. Eindrucksvoll garnierte sie ihren Reisebericht mit den entsprechenden Mitbringseln Speer, Schild, Kamm und Kleid.

Reiseerlebnisse offenbarte auch die Wahlberlinerin Simona Matthes mit „Tanz der Elfen“ in Laos und Kambodscha, bevor schließlich der mit Spannung erwartete Auftritt von Misha G. Schoeneberg das Grand Finale mit der Botschaft eröffnete: „Die Scherben-Jahre umfassen die Jahre 1981-1989, aber keine Angst, ich lese nur die ersten neun Seiten.“ Die Pobacken der literarischen Wohnzimmergemeinde entspann-ten sich erfreut, und der entsprechende Kopf nickte dazu bejahend mit positivem Geraune. Neun Seiten, die es in sich hatten, noch einmal jeden fesselten, auch dank der eindrucksvollen Vortragskunst des Kultautors der „Geister der gelben Blätter“. Und wenn das restliche Menü, sprich Buch, dem Niveau der neun Seiten Antipasti folgt, ist ihm ein neuer Bestseller sicher.

Der Charme des Medienpoint Steglitz liegt in der besonderen Clubatmosphäre, stark erinnernd an die 1970er Jahre, nicht wirklich fehlend der damals allgegenwärtige Nikotin- und Biergeruch. Mutter Courage, Regina Sommerfeld, Organisatorin des Abends, hat mit viel Zeit, Gespür und Hartnäckigkeit alle Schwierigkeiten und Probleme aus dem Weg geräumt und gemeinsam mit dem Team allen drei Stunden anspruchsvolle Literatur geschenkt, sogar noch mit Schlagobers serviert, leckeren Gratis-Canapées – Chapeau!

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