.... die richtigen Worte finden

Astrid Lehmann

Einfach hat es sich Ingo Müller nicht gerade gemacht, was seine berufliche Entwicklung betrifft. Er sagt mir, dass er oft gar nicht wusste, was sich konkret hinter einer Berufsbezeichnung verbirgt, was ihn erwartet. Die Anregung des Vaters, Brauer und Mälzer zu werden, hat er erst einmal aufgegriffen und stellte fest, dass dies ein durchaus interessanter Beruf ist. Die Konsequenz war ein darauf aufbauendes Studium der Gärungstechnologie, bei dem Ingo Müller dann allerdings merkte, dass dies doch nicht die richtige Richtung ist. Es folgte ein Studium auf dem Gebiet der Wissenschaftlichen Information und Dokumentation, welches ihn in der Folge zu einer Beschäftigung mit Daten, ihrer Sammlung, Aufbereitung und Bewertung führte. Auch hier fand er aber nicht die erhoffte Befriedigung bei der Arbeit. Die eine Beschäftigung nicht mehr fortsetzen wollen ohne etwas anderes zu beginnen, brachte Ingo Müller auf die Idee, zur Überbrückung Kulturarbeit mit Jugendlichen in Angriff zu nehmen. Er wurde Instrukteur für Kultur und Sport, leitete einen Jugendklub und hatte an dieser Arbeit viel Spaß. In etwa zur gleichen Zeit forcierte er auch die eigene kulturelle Betätigung, beschäftigte sich mit elektronischer Musik und startete seine „Karriere“ als Pantomime. Er suchte und fand Kontakt – zuerst zur Gruppe von Volkmar Otte, später zu Eberhard Kube. Um selbst Kulturgruppen leiten zu können, war es nötig, den „Schein zur Anleitung künstlerischer Volksgruppen“ zu erwerben, also erwarb ihn Ingo.

Nachfolgend gründete er Pantomimengruppen in Cottbus und Berlin, wo er bis Ende 1994 als Leiter fungierte.

Dann kam ein Problem auf die Pantomimen zu, das nach der Vereinigung so manchem Schwierigkeiten bereitete – die Miete für die genutzten Probenräume stieg so, dass sie sich nach anderen Räumen umsehen müssen.

In dieser Situation ergab es sich, dass der Förderverein der Gehörlosen der neuen Bundesländer e.V. einen neuen Regisseur für seinen Berliner Bühnenclub suchte. Da dieser Verein über hervorragende Räumlichkeiten in der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg verfügte, kam es zu der Idee, eine gemeinsame Integrationsgruppe von gehörlosen und hörenden Pantomimen aufzubauen. Wenige Jahre später entstand daraus das Gestische Theater Berlin, heute ein gemeinnütziger eingetragener Verein, dessen Mitglieder gehörlos bzw. hörgeschädigt sind.

Als Künstlerischer Leiter dieses Theaters ist es von vornherein schwer, die richtigen „Worte“ zu finden. Auch wenn Ingo Müller die Gebärdensprache erlernte, so sagt er, dass es für einen Hörenden kaum möglich ist, das zu erfassen, was durch Tonfall, Lautstärke und Betonung bei der Sprache an Emotionen vermittelt wird. Wichtig ist aber, die Truppe vertraut ihm, sie achtet und liebt ihren Leiter. Dieser muss sich daran gewöhnen, dass Probentermine auch immer etliches an Zeit für gegenseitigen Austausch zu verschiedensten persönlichen Fragen benötigen. Aber die Arbeit macht Spaß und es werden verschiedene Programme erarbeitet.

Ziel der harten Probenarbeit ist natürlich immer der Auftritt vor Publikum oder der Leistungsvergleich. Bei der Teilnahme am 16. Internationalen Pantomimenfestival in Brno ist der erste Platz eine Ehrung, von der man lange zehren kann.

2002 kam Ingo Müller zum Kulturring. Es ging um die Vorbereitung des vierten Kunstkreuzes. Die langjährigen Erfahrungen in der Kulturarbeit und auf dem Gebiet der Pantomime zahlten sich aus. Nicht nur bei den Künstlerkontakten, vor allem bei der Vorbereitung und Durchführung von Programmen an den Ausstellungsorten, natürlich auch von Aufführungen des Gestischen Theaters, leistete er hervorragende Arbeit. In den folgenden Jahren wechselten sich befristete Beschäftigung und ehrenamtliche Arbeit ab, das Engagement für das Kunstkreuz und die kulturelle Arbeit in Friedrichshain blieb. Im Jahr 2008 wurde das Gestische Theater Berlin Mitglied des Kulturrings, und die gute Zusammenarbeit wurde weiter gefestigt.

Zurzeit ist Ingo Müller in dem Projekt „Frauen in Handwerk und Technik“ beschäftigt. Anfangs noch unsicher, was er denn mit diesem Thema anfangen soll, wurde ihm bald bewusst, dass diese Arbeit darauf zielt, junge Mädchen und Frauen über Berufe genauer zu informieren, die nicht alltäglich und gemeinhin nicht als Frauenberufe bekannt sind. Das machte und macht ihm Spaß, und die Arbeitsergebnisse können sich sehen lassen. Ingo Müller kreierte eine CD, aufgebaut wie eine Website, in der alle in Friedrichshain-Kreuzberg möglichen handwerklichen oder technischen Berufe aufgezählt und erläutert sind, man findet alle möglichen Ausbildungsstellen, und die CD ist so gestaltet, dass sie Mädchen und junge Frauen anspricht.

Natürlich frage ich Ingo Müller, was er sich für die nächsten Jahre vorgenommen hat. An Rente mag er noch lange nicht denken. Solange die Pantomimen noch „mitspielen“ und solange es ihm selbst noch Spaß macht, wird er sich weiter für das Gestische Theater engagieren. Ein neues Programm hat er schon erarbeitet und wird sich auch bald um das dafür nötige Geld kümmern. So bleibt uns also ein engagierter Mitstreiter erhalten.

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