„Um den Kirchentag würde ich mich gern kümmern …“,

Ingo Knechtel

so vernahmen es die Vorstandskollegen, als sie über die anstehenden Aufgaben zu Beginn ihrer Arbeit nach der Wahl im Januar 1996 diskutierten. Der dies sagte, war gerade auf Vorschlag Prof. Siegfried Strellers, des ersten Kulturring-Vorsitzenden, neu in den Vorstand des Vereins gewählt worden. Dr. Gerhard Schewe war aber beileibe kein Neuling – im Kulturbund ist er seit seiner Studentenzeit. Sein Mitgliedsbuch von damals hat er aufbewahrt und lässt es von Zeit zu Zeit gern von den „Neulingen“ beäugen – gewiss nicht, um Autorität zu erheischen, vielleicht aber, um die heute Aktiven zu bewegen, so manches Sachzeugnis in der schnelllebigen Gegenwart nicht so einfach über Bord zu werfen, auch wenn sich die Zeiten hin und wieder ändern. Und die Zeiten seines Lebens waren schon sehr bewegt. 1930 in Burg bei Magdeburg geboren, verbrachte Gerhard Schewe seine Kindheit im Brandenburgischen, und diese war geprägt von Kriegserlebnissen. Nur schwer kann sich ein junger Mensch von heute vorstellen, was es heißt, in der Schule auf seinen Weg ins Leben gebracht zu werden und gleichzeitig um sich herum die Trümmer des Lebens zu sehen. Zum Glück für Gerhard Schewe begann auch für ihn nach 1945 eine neue Zeit, er legte 1949 sein Abitur in Zossen ab und begann eine bibliothekarische Ausbildung. Zwei Namen stehen in seiner Biografie für die Fünfzigerjahre – Victor Klemperer und Rita Schober. Wer kennt nicht Klemperers Lebensweg aus seinen Tagebüchern? Nach dem Krieg war er Akademiemitglied und vertrat den Kulturbund als Abgeordneter in der DDR-Volkskammer. Die Berührung mit Gerhard Schewes Lebensweg war dessen Romanistik-Studium, Klemperer leitete damals das Institut für Romanistik der Berliner Humboldt-Universität. Und Schewe beschrieb diese Begegnung mit Klemperer: „… ein überfüllter Hörsaal im teilweise noch kriegszerstörten Hauptgebäude, Studierende fast aller Fakultäten, das angekündigte Thema – Rousseaus „Bekenntnisse“ – interessierte nur die Wenigsten, man wollte ihn hören, erleben. Er war klein, wach und lebendig, wenngleich gebeugt unter der Last seiner über 70 Jahre und seiner leidvollen Erfahrungen. Stets vermeinte man hinter ihm das Dresdener Judenhaus zu sehen, die Bombennacht, die Flucht. Er sprach leise, ohne Manuskript, alle hingen an seinen Lippen. Und dann entstand vor unserem geistigen Auge Schritt für Schritt, Schicht um Schicht das Bild einer Weltepoche oder einer großen Persönlichkeit, ein Konstrukt sich spiegelnder Facetten von Geschichte, Kunst, Sprache, Psychologie, Religion. Niemand konnte sich der Faszination eines solchen Vortrags entziehen.“

Rita Schober gehört zu den bedeutendsten Schülern Klemperers, war seine Nachfolgerin an der Berliner Uni und ist international eine der führenden Zola-Spezialisten geworden, arbeitete zu vielfältigen Themen, u.a. zum französischen Roman des 19. und 20. Jahrhunderts. Auch Rita Schober hat viele Jahre im Kulturbund gewirkt, war u.a. Präsidentin des Berliner Zentrums der Europäischen Kulturgesellschaft (S.E.C.).

Nach all diesen Einflüssen auf den „Studenten Schewe“ wundert es nicht, dass er nach Abschluss seines Romanistik-Studiums dann selbst am Institut für Romanistik der Humboldt-Universität zu arbeiten begann. Von 1961 bis 1990 betreute er als Redaktionssekretär zudem die „Beiträge zur Romanischen Philologie“. Zu Gerhard Schewes Arbeitsgebieten zählten neben der modernen französischen Literatur auch die spanische Geschichte und Kulturgeschichte. Seine über 40 Jahre an der Universität brachten neben der aktiven Lehrtätigkeit, dem Kontakt zu „seinen“ Studenten, den er so liebte und von dem er sich selbst in der Gegenwart nur schwer trennen kann, zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, Übersetzungen und Vorträge. Seine Promotion verfasste er zu Romain Rolland. 1984 wurde Gerhard Schewe zum Dozenten berufen, 1991-1994 war er „basisdemokratisch gewählter“ Direktor des Instituts für Romanistik. Er hat einen entscheidenden Beitrag dafür geleistet, dass die Romanistik an der Humboldt-Universität die gesellschaftliche Wende überlebte.

Auch in den Achtzigerjahren war er im Kulturbund aktiv, engagierte sich in der Leitung der Hochschulgruppe. Später stieg Dr. Schewe dann beim Kulturring „so richtig ein“. Er wollte sich noch nicht zur Ruhe setzen. Und diese ehrenamtliche Tätigkeit reizte ihn, war gut vereinbar mit den verbleibenden Stunden an der Universität und den vielen neuen Reisemöglichkeiten, die er gern und regelmäßig mit seiner Frau Eva wahrnahm. Als dann eines Tages im Dezember 1998 der Kulturring-Vorsitzende zurücktrat, wurde Dr. Schewe quasi automatisch zum amtierenden Vorsitzenden des Berliner Landesverbands des Kulturbunds e.V. und gleichzeitig Mitglied im Kulturbund-Präsidium. Seitdem erhält er alle zwei Jahre das Vertrauen der Mitglieder. Voriges Jahr wollte er eigentlich nicht mehr zur Wahl antreten, meinte, dies sollten nun die Jüngeren übernehmen. Aber als es soweit war und die sonst so freudige Stimmung unter den Vorstandsmitgliedern trauriger wurde, ließ er sich nicht lange bitten. „Wenn ich das nun auch nicht mehr mache, merke ich erst richtig, dass ich alt geworden bin.“ Als er dies zum Autor dieser Zeilen sagte, war seine Entscheidung gefallen. „Wenn die Mitglieder es wollen und meine Gesundheit mitspielt, mache ich es nochmal 2 Jahre.“

Wir, die Mitglieder und Mitarbeiter des Kulturrings in Berlin e.V., ziehen heute den Hut und sagen danke für die unermüdliche Arbeit für den Verein, für die engagierte, aber zugleich ruhige, unaufgeregte und ausgleichende Art und Weise, wie Sie, lieber Dr. Schewe, diese Leitung praktiziert und dabei stets auch kontroverse Haltungen moderiert haben, wie Sie dazu beitrugen, dass der Kulturring in Berlin nach über fünfzehn Jahren aus der kulturellen Landschaft der Hauptstadt nicht mehr wegzudenken ist.

Am 16. Juli feiert unser Vorsitzender seinen 80. Geburtstag, und wir wünschen ihm vor allem Gesundheit und noch viele Jahre der aktiven Verbundenheit mit dem Verein.

Der nächste Kirchentag findet übrigens 2011 in Dresden statt.

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