Selbstbefragung,

Ingo Knechtel

die dazu führte, gnadenlos aus allen Himmeln der Utopie zu stürzen – so in etwa fasste ein Rezensent seine Empfindungen zu Christa Wolfs neuem Roman zusammen. Natürlich geht es um die DDR, und natürlich geht es um gelebtes Leben. Und darum, die Frage zu beantworten: Wie viel an diesem Land war Staat? Oder vielleicht auch die parallele Frage heute: Wie viel an diesem Land ist (Monopol-)Kapital? Die meisten Menschen waren und sind es nicht, sie arrangieren sich, denn sie wollen leben. Und doch spüren sie zu Zeiten Ohnmacht gegenüber dem System, mit dem sie es zu tun haben. Sie sehen und spüren Ungerechtigkeiten. Sie suchen Nischen, oder sie wenden sich ab. Nicht überall, wo Demokratie draufsteht, ist auch welche drin. Ob Diktatur des Proletariats oder der Märkte – irgendwann hat es eine wachsende Mehrheit der Menschen satt, dass sich Andere den Wohlstand aneignen, den sie erarbeiten. Dass diese Anderen für Profit unsere Ressourcen plündern und die Umwelt zerstören. Dass sie Ihnen vorgaukeln, Sie hätten eine Wahl. Und doch ziehen sie die Daumenschrauben an – immer weniger arbeiten immer mehr – immer mehr bleiben auf der Strecke. Irgendwann bei all dem Druck wird sich der Einzelne vielleicht bewusst, dass es an ihm ist, die Richtung zu bestimmen. Das setzt Nachdenken auch über das eigene Handeln voraus. Das System, dass wir aufgebaut oder zugelassen haben, ist am Rande des Kollaps’. Da es uns alle mit in die Tiefe reißen kann, sollten wir rechtzeitig nachdenken. Wir sollten auch wieder mehr Intellektuelle als mahnende Instanzen verstehen lernen, sollten uns mit Utopien beschäftigen. Wenn etablierte Parteien das Vertrauen verspielt haben, gewinnen andere Interessenvertreter, darunter sicher auch Vereine, eine größere Bedeutung. Mit dem Engagement der Bürger können und müssen sie auf Veränderungen hinwirken. Sie müssen es wenigstens versuchen. Mehr Bildung, mehr Demokratie – das ist unsere einzige Chance.

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