München zeigte sich übermütig und gastfreundlich. Für die dreihunderttausend Menschen am Eröffnungsabend des 2. Ökumenischen Kirchentags hatte auch der Wettergott ein Einsehen und verschob seinen Protest auf die Folgetage. Die bayerischen Kirchengemeinden luden die Gäste aus ganz Deutschland zum abendlichen Fest in die Münchener Innenstadt ein, es gab deftige bayerische Kost und gar manches Schmankerl, von den Bühnen erklangen wundersame Weisen. Da waren die immer wieder gern gehörten Songwriter mit ihren mehr oder weniger religiös eingefärbten Botschaften. Aber es gab auch Rap und härtesten Rock, von Profis und vom Nachwuchs. Von großen Bühnen und an der Straßenecke. Am altehrwürdigen Marienplatz beim historischen Rathaus hatte die Faszination der Klänge eine große Menschenmasse erfasst. Die Organisatoren hatten für ein Programm gesorgt, das an Kontrasten nichts zu wünschen übrig ließ, der röhrenden Rock-Lady folgte ein echt bajuwarischer Schuhplattler. Das passte da hin, das begeisterte, jung und alt zugleich. Und da war es auch, das Phänomen Bayern: die Weltstadt München und die Tradition des Landes nahebei.
Und irgendwie muss es dann auch funktioniert haben, dass diese Begeisterung so eine Kraft bekam, dass sie Probleme plötzlich nicht mehr so unüberwindlich, Krisen nicht mehr so ausweglos und überhaupt das Leben nicht mehr so schwer erscheinen ließ. Schuld daran war sicher nicht der erste Abend der Begegnung allein, das angesagte Entzünden-wir-eine-Kerze-und-sind-eine-große-Familie-Gefühl. Vieles trug dazu bei. Und verbunden damit war auch immer wieder ein Name zu hören: Margot Käßmann. Über den Kirchentag zu berichten, ohne ihr Auftreten zu erwähnen, würde das ökumenische Geschehen auf den Kopf stellen. Die Ex-EKD-Ratsvorsitzende sorgte überall für Aufsehen; die Halle auf dem Messegelände zur morgendlichen (!) Bibelarbeit war total überfüllt, ebenso die Veranstaltung „Frauen und Macht“ am Abend. Die Boulevardpresse titelte: „So macht der Glaube wieder Spaß“ „Käßmann: Gefeiert wie ein Popstar“ (tz). Selbst die ferne Berliner Zeitung ist begeistert: „Die Zauberin ist wieder da“, hieß es da. Auch die reichlich angereiste Politprominenz konnte nicht verhindern, dass Andere und Anderes mindestens auch einmal im Mittelpunkt standen.
Traditionell gab es eine Agora, im alten Griechenland war das ein großer Versammlungsplatz oder ein Markt im Zentrum einer Stadt. Im München von heute war sie eher etwas am Rande angesiedelt, auf der Messe, dem Gelände des früheren Flughafens Riem. Aber wer wollte schon den über 1000 teilnehmenden Gruppen anderswo ausreichend Platz bieten? Auch der Kulturring in Berlin e.V. war wieder vertreten. Zahlreiche Berliner, viele davon aus Spandau, schauten am Stand vorbei und kamen mit dem Vorsitzenden Dr. Schewe, seiner Stellvertreterin Dr. Reisch und den weiteren Mitgliedern das Kulturring-Teams ins Gespräch. Das hatte ganz sicher etwas mit den präsentierten Projekten zu tun. Erfahrungen wurden ausgetauscht mit vielen Besuchern aus anderen Bundesländern. Ein Baum zierte wiederum den Stand und wollte die Besucher unter dem Motto: „Liebe Deinen Nächsten ...“ animieren, Meinungen und Wünsche zu artikulieren. Neben viel Persönlichem wurden auch Erwartungen an die Gesellschaft, an die Politiker formuliert. Da hieß es z.B.: „Ich wünsche, dass es bald keine Kindersoldaten mehr gibt“, oder „Ich wünsche mir Frieden für Afghanistan“, oder „Ich wünsche mir eine neue Arbeitsstelle“, „Keine Arbeitslosigkeit!“, oder „Ich wünsche für jeden Menschen ein schönes Zuhause!“ Und es kommt auch die Entschlossenheit zum Ausdruck, dass das eigene Mittun nötig ist: „Für die kommende Zeit wünsche ich mir mehr Antrieb, um auf den Baustellen der Welt und meines Lebens aktiver zu werden“, schrieb jemand auf. Ebenso: „Einen gemeinsamen Weg finden“.
Die Fülle und Vielfältigkeit der Stände in den Messehallen war geradezu überwältigend und zeigte einmal mehr das überaus große Engagement der vertretenen Gruppen, in dieser Gesellschaft etwas zu bewirken, sie zu verändern. Ganz deutlich wurde darin auch die Wirksamkeit und Notwendigkeit bürgerschaftlichen Engagements. Revolutionär ging es aber sicher nicht zu. Das wäre dann in etwa so, als könne man sich „Glauben ohne Kirche“ oder „Soziale Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ vorstellen. Dies wäre vielleicht zu viel verlangt gewesen, aber ein spaßiges Treffen war dieser Kirchentag definitiv nicht. Seinem Motto wurde er allerdings gerecht: „Damit Ihr Hoffnung habt“. Er gab den Beteiligten Kraft zum Weitermachen und manch einem Ideen und Motivationen, etwas anders, etwas besser zu machen. Und das ist doch schon sehr viel.