Illegale Kriege | Das empfehlenswerte historische Buch zu kriegerischen Konflikten von gestern bis heute

Hanno Schult

Mit dem Buchtitel „Illegale Kriege“ bezieht sich der mittlerweile auch in Deutschland sehr bekannte Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser auf die von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannten Prinzipien der Vereinten Nationen aus den Jahren 1945 und 1974, in denen klar definiert ist, wann es sich um illegale Kriege im Sinne einer völkerrechtswidrigen Aggression handelt. So verstanden, gibt es dann auch nach Definition der UN-Generalversammlung von 1974 legale Kriege nur in zwei Fällen: Ein souveräner Staat wird Opfer einer Aggression durch einen anderen Staat, und/oder zur Abwehr einer Aggression bedarf es eines soliden Mandates der ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, die Veto-Mächte eingeschlossen.

Die Gründung der Vereinten Nationen nach der Katastrophe des zweiten Weltkrieges 1945 war dann ursprünglich auch als Kriegsverhinderungsinstrument gedacht, denn es heißt in der Gründungscharta vom 26. Juni 1945 unter anderem: „Alle Mitglieder (Staaten) unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ (Art. 2, Pkt. 4)

Der Autor beschreibt am Beispiel von 13 Ländern, wie in der Vergangenheit und in der Gegenwart illegale Kriege geführt wurden und werden und zeigt mit beklemmender Schärfe, dass die Vergangenheit, die nicht vergehen will, auch zugleich immer wieder Gegenwart ist und diese dann morgen schon wieder Geschichte mit einem aktuellen Kontext sein wird.

Daniele Ganser: „Illegale Kriege, Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien“, erschienen im Orell Füssli Verlag Zürich, 8. Auflage 2017, 373 Seiten, broschiert, 24,95 €.

Dass die Prinzipien der UNO-Charta immer wieder durch ständige Mitglieder mit Vetorecht im Sicherheitsrat boykottiert wurden, liegt nach Ansicht des Autors vor allem darin begründet, dass diese (USA, Großbritannien, Frankreich) zugleich führende NATO-Mitgliedsstaaten sind, und vor allem die USA als Imperium ihre aggressive Außenpolitik nach 1945 fortgesetzt und nach dem Ende des Kalten Krieges 1991 sogar noch forciert hätten. Als Triebkräfte einer sich stetig steigernden aggressiven US-Außenpolitik sieht der Autor die gesellschaftliche Struktur des Landes, charakterisiert im wesentlichen von einer durch die Finanzoligarchie (moderner Geldadel) bestimmten Elite, die die Außen- und Innenpolitik des Landes verantwortet und beherrscht sowie die öffentliche Meinung stets medial auf ihre Kriegspolitik eingestellt hat. Dass diese Kriege mit gezielten Lügen, Halbwahrheiten, Desinformationen und dem Verschweigen von relevanten Tatsachen vorbereitet und begründet werden, konnte der Autor an vielen Beispielen überzeugend nachweisen. Hier seien nur die illegalen Aggressionen gegen Kuba 1961, Vietnam 1964, Nicaragua 1981 durch die USA erwähnt, wobei die gleichen Maßstäbe auf den illegalen Krieg der UdSSR 1979 gegen Afghanistan anzulegen wären. Diese kriegerischen Konflikte haben einen starken Einfluss auf die internationale Friedensbewegung ausgeübt, der sich der Autor auch heute noch stark verpflichtet fühlt in seiner Arbeit um friedensstiftende Aufklärung zu medial weitestgehend verschwiegenen Kriegsursachen und ihren Folgen.

Der Bedeutungsverlust der UNO als Kriegsverhinderungsinstrument nach dem Ende der Blockkonfrontation ab 1991 und der Rückkehr imperialer Außenpolitik unter dem Zeichen des Kampfes um Rohstoffe, Einflusssphären und Macht beschreibt der Autor dann besonders tiefgründig an Beispielen, wie der gezielten Zerstörung des jugoslawischen Bundesstaates 1991-1999, dem Angriff auf Afghanistan 2001, den völkerrechtswidrigen Ölkriegen gegen den Irak 2003, Libyen 2011 und den Jemen 2015 sowie dem Stellvertreterkrieg gegen Syrien seit 2011. Sie forderten nicht nur Millionen von Menschenopfern, sondern setzten auch Flüchtlingsströme in Bewegung, mit denen sich die europäischen Wohlstandsgesellschaften überfordert zeigten und die zu innenpolitischen Polarisierungen führten. Dies sei ein Prozess, so die Meinung des Autors, der noch lange nicht abgeschlossen ist, solange kriegsverhindernde Mechanismen nicht wirksam sind, die solche Szenarien in Zukunft unmöglich machen.
Trotz der Gründung eines internationalen Strafgerichtshofes in Rom 1998, dessen Aufgabe es ist, Einzelpersonen als Kriegsverbrecher zu benennen und zu verurteilen, konnte die internationale Staatengemeinschaft auch hier, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keinen wirklich abschreckenden Fortschritt erzielen. Ganser scheut sich nicht, die wahren Kriegstreiber und Verantwortlichen zu benennen und ganz im Sinne der Aufklärung Ursache und Wirkung klar zu definieren. Dafür gebührt ihm im Zeitalter von unkontrollierter medialer Macht, Desinformation, Propaganda und Fake News ein besonderer Dank. Die Rolle medialer Macht bei der Kriegsvorbereitung und Kriegsberichterstattung sieht der Autor als einen der Gründe dafür, dass die UNO und ihre Instrumente einfach nicht mehr im Bewusstsein der am Frieden interessierten Öffentlichkeit vorhanden sind. Denn worüber nicht berichtet wird in den Zeiten des permanenten Informationsüberflusses, ist dann im Bewusstsein der manipulierten Medienkonsumenten auch nicht mehr existent.

Ganser sieht seine Arbeit zugleich als ein Plädoyer für mehr Medienkompetenz und Quellenvergleiche und für den Grundsatz von Kant: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, um die Dinge kritisch zu hinterfragen. Gansers Konfliktanalysen stehen hier ganz in dieser Tradition, der sich auch eine erneuerte Friedensbewegung nach Meinung des Autors nicht verschließen sollte. Macht sollte, so Ganser, auch in Zukunft nicht immer vor Recht gesetzt werden können, und die UNO und ihre Institutionen sollten wieder gestärkt werden.

Ergänzt wird die außergewöhnliche und lesenswerte Arbeit des „neutralen“ Schweizers, der hier aber ganz Partei ist, im Sinne einer faktenbasierten Aufklärung, durch zahlreiche Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln, einer Chronologie illegaler Kriege seit 1945 und weiteren empfehlenswerten Literaturhinweisen zur Vertiefung des Themas. Dem lesenswerten und mutigen Buch von Ganser sei hiermit ein wirklich großer Verbreitungskreis gewünscht, der über eine am Weltfrieden und der Politik interessierten Leserschaft hinausgehen möge.

Archiv