Anton Tschechow – doppelt gestrickt

Lutz Wunder

Die dramatischen Werke des Namenspatrons des kleinen Zimmertheaters, das der Kulturring im Marzahner NordWesten betreibt, zeigen bis heute immer wieder eine erstaunliche aktuelle Anziehungskraft und Ausstrahlung. Selbst wenn die Inszenierungen „nur“ von Amateurschauspielern gespielt und in Zimmertheatern aufgeführt werden. Im Besonderen werden die Aufführungen natürlich in einem speziellen Rahmen angenommen, wenn ein Stück des Dramatikers z.B. in zwei Inszenierungen – deutschsprachig und russischsprachig, alles an einem Abend – gezeigt wird. Diese Aufführungspraxis hat im Theater eine lange Tradition, und am 06. Februar gab es wieder eine Doppelinszenierung des Einakters „Der Bär“ (1895 geschrieben). Die auftretenden Theatergruppen waren die Amateurschauspieler des Ensembles „T&T“ (Theater und Tanz) Rosa Strauch, Ludmilla König und Valeri Edel, welche die russische Version zur Aufführung brachten, und die professionellen Darsteller des Ensembles New Actors of K.I.L.D um Michael Stutz aus Nürnberg. Die Darsteller beider Ensembles waren gespannt auf das Besucherinteresse und waren mehr als angenehm überrascht, dass sich Gäste sogar aus dem fernen Baden-Württemberg / Breisgau angemeldet hatten. Im Rahmen eines Berlin-Besuches hatten sich Studenten der Studiengänge Slawistik und Russlandkunde von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg auf die Suche nach Spuren des russischen Berlins begeben und neben dem Maxim-Gorki-Theater, dem Theater der Russischen Szene eben auch dem Tschechow-Theater einen Besuch abgestattet. Um es gleich vorweg zu nehmen, die jungen Besucher waren von der Doppelinszenierung des Bären sehr beeindruckt. Es waren zwei sehr unterschiedliche Interpretationen des Stücks zu sehen, die beide sehr für sich in ihrer künstlerischen Eignart standen. Die Inszenierung von Natalija Sudnikovic (Ensemble T&T) war klassisch orientiert und bewegte sich in den Bahnen der traditionellen russischen Theaterkunst und in der Zeit, in der das Werk entstand. So hatten junge Zuschauer vor allem Mühe - ergab sich in der Diskussion - dem Sprachstil und Wortschatz zu folgen sowie der Mimik und Gestik Interessantes für sich abzugewinnen. Ganz anders der Vollblut-Schauspieler Michael Stutz mit seiner jungen Aktrice Perdita Christ. Beide entwickelten eine sehr zeitgemäße Mimik und Gestik, die auch die Erotik nicht außen vor ließ und an mancher Stelle an die „Grenze des guten Geschmacks“ stieß. Die Kostümierung wäre einer besonderen Besprechung oder Ausstellung wert. Die Inszenierung wurde mit einem Elan und inneren Schwung vorgetragen, dass die Besucher – obwohl sie das Werk kannten – schon immer neugierig auf den weiteren Verlauf warteten. Viel Applaus gab es für die beiden Theatergruppen am Schluss des Abends. Inoffiziell diskutierten die Schauspieler anschließend mit den Studenten fast bis Mitternacht weiter, über die beiden Inszenierungen, über das „russische Berlin“ heute, über Integrationsarbeit, über die Arbeit des Tschechow-Theaters und ihre Erlebnisse, die sie nach Süddeutschland mit nach Hause nehmen.

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