Im Märchenreich von Väterchen Frost

Karl Forster

Wenn sich Pinocchio und Baba Jaga, Snjegurotschka (Schneeflöckchen) und Väterchen Frost bereit machen, steht das Jahresende bevor. Die Jolka (Tannenbaum) wird geschmückt und die Kostüme für das Neujahrsfest vorbereitet. Dabei ist Jolka nicht nur der Tannenbaum, sondern auch die Bezeichnung für ein Fest, bei dem Kinder verkleidet als Schneeflöckchen oder Schneemädchen, Kaninchen oder andere berühmte Film- und Zeichentrickfilmhelden, oder eben als Tannenbäumchen zum Konzert erscheinen. Die Kinder tanzen und singen im Kreis rund um den Tannenbaum. Dann rufen alle Väterchen Frost mit seiner Enkelin, die später die Geschenke verteilt.

Jolka-Feste haben längst auch im Programm des Kulturring in Berlin e.V. ihren festen Platz. Vor allem im Kulturforum Hellersdorf finden zahlreiche derartige Veranstaltungen statt.

Das russische Neujahrsfest hat sich mit dem Zuzug von Russlanddeutschen auch bei uns schnell verbreitet. Dabei ist es eine relativ junge Tradition, aber doch eine lange Geschichte. Gegen Ende des Jahres 1699 ordnete Zar Peter der Erste (Peter der Große) an, Neujahr am 1. Januar zu feiern und dazu alle Häuser mit Fichten-, Tannen- und Wacholderzweigen zu schmücken. Zuvor begann das neue Jahr am 1. September, an dem Tag, an dem alle Tribute und Geldabgaben gezahlt werden mussten. Die Tannenbäume erschienen in Russland erst etwas später zu dem Fest. Sie wurden zuerst mit Holzspielzeugen, Nüssen, Obst und Süßigkeiten geschmückt, ungefähr 1850 kam der Glasschmuck in Mode. Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde das Fest aufgehoben, der 1. Januar wurde zu einem Arbeitstag und alles, was zu diesem Fest gehörte, verboten. 1937 wurde die Tradition der Neujahrsfeier wieder ins Leben zurückgerufen, die erste sowjetische Jolka (so klingt das Wort “Tanne” auf Russisch) wurde in Moskau aufgestellt und im Fernsehen gezeigt. Und im nächsten Jahr wurde das Fest schon überall im Lande gefeiert. Erst 1947 wurde der 1. Januar für arbeitsfrei erklärt, wie er es vor der Revolution war. Und inzwischen gibt es richtige Neujahrs- und Weihnachtsferien.

Das Jolka-Fest sollte aber auch als Gegenstück zum orthodox-christlichen Weihnachtsfest wirken. Im Gegensatz zur in Russland heute allgemein verbreiteten Vorstellung, Väterchen Frost sei schon seit Jahrtausenden für die Verteilung der Geschenke zuständig, ist er in Wahrheit ebenso wie der deutsche Weihnachtsmann eine erst im 20. Jahrhundert eingeführte Modifikation des St. Nikolaus. Ursprünglich war Väterchen Frost eher eine Art Personifikation des Winters. Entstanden als Geschenke bringende Figur in den 1920er Jahren in der Sowjetunion, ersetzt er seitdem als atheistische Version das alte russisch-orthodoxe Weihnachtsfest am 6. bzw. 7. Januar. Die Figur des Väterchen Frost und das Jolkafest wurden in Russland so erfolgreich, dass auch nach Wiedereinführung des Feiertages für das orthodoxe Weihnachtsfest die meisten Russen an ihm festhalten. Mittlerweile hat er sogar eine offizielle Postadresse in Weliki Ustjug, unter der ihm die Kinder schreiben können. Natürlich gibt es auch Kritiker, welche bemängeln, dass Väterchen Frost längst sein traditionelles Kostüm, einen blauen Mantel und eine Pelzmütze ohne langen Zipfel, eingetauscht habe gegen die amerikanische „Santa Claus“-Kleidung mit „kurzer Jacke, Clowns-Mütze und listigem Grinsen“, so die „Komsomolskaja Prawda“. Und neuerdings verleihen Moskauer Agenturen „Väterchen Frost“ und „Schneeflöckchen“ auch als Strip-Paar für das Fest der besonderen Art. Eine halbe Stunde Auftritt kostet 70 Euro.

Im Kulturforum Hellers-dorf wird dagegen ein traditionelles Jolka-Fest mit unterhaltsamem Tanzprogramm geboten. Schon seit 2003 präsentiert dort das Kulturring-Ensemble T&T (Theater und Tanz) von Natalija Sudnikovic Feste für Kinder und ein Fest für Erwachsene. Die Organisatoren hatten sich für die Feste im Dezember 2008 mit dem Theaterstück „Neujahrsball bei der Schneekönigin“ etwas Besonderes ausgedacht. Weihnachtsmann und Djed Moros (so heißt Väterchen Frost auf Russisch), Aschenputtel und Emelia, Baba-Jaga und Undine spielten in ihrer jeweiligen Muttersprache. Märchenfiguren, Russisch und Deutsch sprechend, wanderten durch das Reich der Schneekönigin und die Wälder anderer Märchen, freuten sich mit den Kindern im Publikum und auf der Bühne auf das Weihnachts- und Neujahrsfest und bereiteten so allen Besuchern ein phantastisches Spektakel. Insgesamt waren es 60 jugendliche und erwachsene Darstellerinnen und Darsteller, die die Kinder und ihre Eltern im Kulturforum Hellersdorf begeisterten. Ein besonderes Highlight war dann die Aufführung des Märchens „Neujahrsball bei der Schneekönigin“ im Januar 2009 im Roten Rathaus in Berlins Mitte. In diesem Jahr steht das Märchen „Im Zauberwald von Väterchen Frost“ auf dem Programm der Jolka-Veranstaltungen im Kultuforum Hellersdorf. In russischer Sprache wird von der Gruppe T&T das Märchen für Kinder aufgeführt. Eingeladen sind Erwachsene und Kinder, für letztere gibt es natürlich auch ein Geschenk.

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