Energie aus Wilhelmsruh

Hannelore Sigbjoernsen

Wenn am 29. Januar die Ausstellung „Energie aus Wilhelmsruh“ im Museumsverbund Pankow in Prenzlauer Berg eröffnet wird, sind sieben Jahre seit der Entwicklung der Idee vergangen, die Geschichte des traditionsreichen Industrieareals im Pankower Norden der Öffentlichkeit vorzustellen. Geschehen sollte das mit einer Ausstellung anlässlich des 100jährigen Jubiläums im Jahr 2007, denn 1907 begannen auf dem heute 300 000 qm großen Gelände, die „Bergmann Electricitäts-Werke“ zu arbeiten.

Dass nunmehr, zwei Jahre später, diese Ausstellung doch noch gezeigt wird, freut nicht nur die Pankower schlechthin, sondern vor allem auch ehemalige Mitarbeiter und Mitglieder des Kulturrings. Über die Jahre hinweg haben gerade sie in unterschiedlichen Projekten daran mitgewirkt. Aus Archiven, Sammlungen und von Privat trugen sie eine Vielzahl von Dokumenten und Exponaten zusammen. Sie fotografierten, katalogisierten, führten Gespräche, recherchierten auf dem Betriebsgelände in Berlin-Wilhelmsruh, beschrieben Hunderte Textseiten und waren schließlich diejenigen, die für diese Ausstellung die Basis schufen. Selbst an der Konzeption waren sie beteiligt.

Die Idee, sich gerade dieses Teils der Pankower Industriegeschichte anzunehmen, entstand im Freundeskreis der Chronik Pankow e.V., dem Verein der Pankower Heimatfreunde. Sie konnte nur dort entstehen. Denn nicht nur das Leben einiger Vereinsmitglieder war nach 1945 mit dem 1949 aus den Trümmern der alten Bergmann-Werke entstandenen „VEB Bergmann-Borsig“ verbunden. Es gibt kaum eine Familie des alten Berliner Bezirkes Pankow, die nicht in irgendeiner Weise eine Beziehung zu dem Werk hat und viele, viele Geschichten erzählen könnte.

Das wurde schon deutlich, als der Freundeskreis für den 4. März 2002 ehemalige Mitarbeiter des Betriebes zu einer ersten Veranstaltung nach Wilhelmsruh einlud. Einige von ihnen hatten bereits Materialien in das Vereinshaus in die Dietzgenstraße gebracht – u.a. Urkunden, Wimpel, Biergläser, Broschüren, Orden und Abzeichen, Brigadetagebücher, aber auch Nachkriegsprodukte wie Suppenkellen und Kochtöpfe - überlebenswichtig in damaliger Zeit. Während des Treffens wurden Namen und Anschriften ausgetauscht und weitere Verabredungen getroffen. Und es gab die Überlegung, gemeinsam mit dem Kulturring in Berlin e.V. ein von der Arbeitsagentur zu förderndes Projekt zu gestalten, da sehr schnell deutlich wurde, dass ehrenamtlich die Materialfülle absolut nicht zu bewältigen war (z.B. die Auswertung der Jahrgänge der Betriebszeitung „Der Schwerpunkt“ von 1949 bis in die 90er Jahre). Der Titel des Projektes sollte lauten: „Pro Pankow Park – Von der Industrielegende zum Wirtschaftsstandort des XXI. Jahrhunderts“ – die hundertjährige Geschichte umreißend.

In einem, 2003 für die „KulturNews“ geschriebenen Beitrag zum Projektvorhaben hieß es: „Vor den Erfolg hat der Herrgott die Arbeit gestellt“. Das sollte sich beweisen! Im August 2004 lag, trotz Befürwortungen durch ABB, dem heutigen Eigner des Geländes, durch das Pankower Bezirksamt und die Humboldt-Universität (Institut für Geschichtswissenschaften) immer noch keine Zustimmung zur Arbeitsförderung vor. Endlich dann, in der ersten Hälfte 2005, gab es die Bewilligung für das Projekt „pro Pankow“. Mit Datum vom 2. Juni 2005 wurde eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Museumsverbund Pankow und dem Kulturring mit der Absichtserklärung unterschrieben, „...gemeinsam ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt zur Geschichte des Industriestandortes Pankow-Wilhelmsruh seit der Errichtung der Bergmann-Elektrizitäts-Werke bis in die Gegenwart vorzubereiten und zu realisieren“ und „die Ergebnisse des Projektes 2007 im Rahmen einer Ausstellung und in einer Begleitpublikation“ zu präsentieren.

Ungeachtet dieser amtlichen Bestätigungen hatten alle, denen vordergründig die Betriebsgeschichte am Herzen lag, weiter recherchiert, weiter gefragt, weiter fotografiert, weiter sortiert. Welche Geschichten taten sich insgesamt auf, was wurde alles gefunden!

Nur Beispiele: Filmmaterial über sowjetische „Neuerermethoden“ bei Bergmann-Borsig, Text und Noten der „Bergmann-Borsig-Hymne“, Dokumente zum Welterfolg der BB-Bogenschützen, der Berühmtheit der BB-Fußballmannschaft, der Entwicklung des Rasier-Exportschlagers „Bebo-sher“. Aber auch der Lebenslauf des Werksgründers Sigmund Bergmann wurde zusammengetragen, mühsam, Detail für Detail u.a. aus amerikanischen Archiven. Denn – obgleich Geschäftspartner von Edison und Erfinder des heute noch genutzten Glühlampensockels – sein Name ist bis dato in Deutschland nicht sehr populär, fast unbekannt. Vielmehr im Bewusstsein sind die Konkurrenten seiner Zeit, ebenfalls Größen der Deutschen Elektroindustrie, wie Siemens und Rathenau. Geschichten um Oswald Hartnick, einem Vertrauten des Werksgründers, wurden ausgegraben; dazu die seiner Verwandten Evelyn Hartnick, Bildhauerin, Schöpferin des Otto-Nagel-Reliefs, das – inzwischen wieder restauriert – auf dem Gelände steht. (Die Restaurierung ist ein „Abfallprodukt“ des Projektes und hat ihre eigene Geschichte.) Rund um Kriegsproduktion, Zwangsarbeit in Wilhelmsruh, Zerstörung, Gründung und Namensgebung „Bergmann-Borsig“, „Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ und dazu gehörige Verträge sind Dokumente ausfindig gemacht worden, die für die DDR-Geschichtsschreibung als nicht relevant galten; so auch zum 17. Juni 1953, zu Bergmann-Borsig als Grenzbetrieb. Originale zu den Ereignissen 1989/1990 im ehemaligen DDR-Kombinatsbetrieb und seiner anschließenden Entwicklung zur ABB-Grundbesitz konnten aufgefunden werden.

Als sich zum 100. Jahrestag, zum eigentlichen Jubiläum des Geländes, immer noch nichts mit einer Ausstellung auf Bezirksebene tat, ABB aber längst seine Festveranstaltung durchgeführt hatte, eröffnete der Freundeskreis der Chronik Pankow e.V. 2008 im „Brose-Haus“ eine Fotoausstellung zur Geschichte der Gebäude auf dem Industriegelände in Pankow-Wilhelmsruh. In die Texte zu den Bildern war viel eingeflossen, was im Laufe der Jahre recherchiert worden war, und die Besucher dankten es. Denn viele von ihnen hatten selbst die Betriebsgeschichte mitgeschrieben.

Nachsätze:

Es mag mir bitte nachgesehen werden, dass ich hier keine Namen genannt habe. Ich versichere aber, dass alle – die Mitglieder des Freundeskreises zu Beginn, am Ende auch der letzte durch das Jobcenter geförderte Kulturring-Mitarbeiter, alle Ehrenamtlichen, ehemalige Bergmann-Borsig-Beschäftigte und Angestellte des Museumsverbundes – mit größtem Engagement und Hingabe an der Aufarbeitung dieser Industriegeschichte gearbeitet haben.

Auf all das, was aus den zusammengetragenen Unterlagen, Dokumenten und Exponaten geworden ist und in der ab 30. Januar 2009 im Museumsverbund Pankow gezeigten Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert wird, darf man sehr gespannt sein. Dieser Beitrag wurde vor der Eröffnung geschrieben. Hoffentlich bleibt alles im Museumsverbund Pankow in wohlgeordneter Form für die Nachwelt erhalten, denn es ist Pankower Geschichte.

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