Märchen lebendig werden lassen

Dr. Alena Gawron, Karin Santos

Vor mir sitzt eine Frau mittleren Alters, sportlich gekleidet. Eine zurückhaltende, bescheidene Frau, die ihr Leben ganz der bildenden Kunst widmet. Sie kommt aus Dnepropetrowsk in der Nähe von Kiew und hat in Odessa die Theater-Kunsthochschule absolviert. Diese Hochschule ist eine der wichtigsten auf dem Gebiet, und die Absolventen verlassen sie als hochqualifizierte Fachkräfte. Als Maskenbildnerin erlernte Tamara Badt nicht nur das professionelle Schminken, sondern auch das Nähen und Entwerfen von Kostümen und Perücken sowie alles was mit dem Theater zu tun hat. Obwohl sie 15 Jahre lang in ihrer Heimat im Theater und für das Kino gearbeitet hat und mit einem großen Erfahrungsreichtum aufwarten kann, hat sie sich entschlossen, das Land ihrer Vorfahren kennen zu lernen. Sie ist deutsch-russischer Herkunft und wollte ihre Wurzeln erkunden. Sie war neugierig darauf zu sehen, wie sich Deutschland entwickelt hat. Da sie der Kunst im Allgemeinen sehr zugeneigt ist und auch viel über die Kunst in Deutschland gelernt hat, war es für sie wichtig, ihre Kenntnisse im Ursprungsland zu vervollständigen. Sie meint, dass Kunst und Kultur in Deutschland weiter entwickelt seien als in Russland und dass es große Unterschiede zwischen beiden Ländern gäbe. Hier hätte sie mehr Möglichkeiten, die Bilder der großen Meister im Original zu sehen. Sie wollte aber auch die negativen Seiten Deutschlands persönlich erleben, vor allem alles, was mit dem Thema Vergangenheitsbewältigung zu tun hat.

Die Künstlerin kam vor 12 Jahren nach Berlin und arbeitet seit ca. 10 Jahren mit dem Kulturring in Berlin e.V. zusammen. Sie spricht von Glück, hier arbeiten zu dürfen. Natürlich bedauert sie es auch, dass ihr Beruf als Maskenbildnerin auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt ist, aber ihre Entscheidung, nach Deutschland zu kommen, hat sie bisher nicht bereut. Sie könne auf diese Weise nah an der Kunst sein und das künstlerische Leben hier in vollen Zügen genießen, sagt sie uns im Gespräch. Im Kulturring könne sie ihr künstlerisches Talent überzeugend unter Beweis stellen und glaubt, dass jeder Künstler, der sich auf seinem Gebiet zeitgemäß und kreativ weiterbildet, auch gut von seinem Handwerk leben kann. Frau Badt konzentriert ihr künstlerisches Engagement seit ca. acht Jahren auf das Tanz- und Theaterensemble T&T des Kulturrings, das unter der Leitung von Natalja Sudnikovic auch im Berliner Tschechow-Theater arbeitet. Hier gestaltet sie für die Schauspieler Perücken, Masken und Kostüme. Ihre Hauptsorge gilt dabei den Kindern, denen es – anders als manch einem Jugendlichen – noch Spaß macht, sich künstlerisch kreativ auszuprobieren.

Für ihre hochqualifizierte künstlerische Tätigkeit erhält sie manchmal nur wenig Lohn, aber sie würde auch kostenlos arbeiten, da sie ihren Beruf von Herzen liebt und mit ganzer Seele darin aufgeht. Sie freut sich vor allem über die Freude der Kinder, die manchmal eine geschlagene Stunde bei einem Fest in der Warteschlange verbringen, um von Tamara Badt geschminkt zu werden, damit sie ein kleines Kunstwerk stolz in ihrem Gesicht nach Hause tragen können. Und von Zeit zu Zeit, wenn sie es nicht allein schafft, helfen ihre beiden großen Töchter aus. Sie sagt: „Mein Beruf gehört zu den seltenen und außergewöhnlichen Tätigkeiten, welche aus vielerlei Gründen der Popularität unter Jugendlichen entbehrt, unter anderem deshalb, weil es sich hier um Handarbeit handelt, die viel Geduld, Aufwand, Fleiß und Zeit erfordert. Man muss sein handwerkliches Geschick unter Beweis stellen und mit viel Liebe zum Detail an seine Aufgabe herangehen. Die heutige Zeit verlangt immer wieder neue Formen – nach ihrem Rhythmus müssen wir leben und unsere Lebensart anpassen. Die jungen Menschen haben heute andere Berufsmöglichkeiten. Selbstverwirklichung findet oft nicht mehr durch ästhetisches Wirken statt, sondern durch „optische Täuschung“. Kinder allerdings wissen schöne Dinge, die durch Handarbeit geschaffen wurden, nach wie vor zu schätzen. Sie lieben und schätzen die Früchte ihrer eigenen Arbeit, legen selbst Hand an. Echte, lebendige Farbe zieht ihre Aufmerksamkeit an. Ich erinnere mich nur an das Kindertheater - dort kann sich jeder selbst verwirklichen und kann die Märchen mit eigenen Händen lebendig werden lassen. Alle, die Märchen und das Theater mögen, lade ich herzlich in das Berliner Tschechow-Theater des Kulturrings ein, um unseren Märchen beizuwohnen und sie Wirklichkeit werden zu lassen.“

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