Geschichte wiederholt sich nicht,

Ingo Knechtel

und doch denke ich unwillkürlich an Deutschland zwischen den Weltkriegen, wenn ich heute die Finanzseiten der Zeitungen aufschlage und von der weltweiten Bankenkrise lese. Erzählungen meiner Eltern und Großeltern werden wach. Die Tatsache, dass sich seitdem auch auf den Finanzmärkten vieles geändert hat, will mich nicht so recht beruhigen. Vielleicht kommt ja alles noch viel schlimmer? Fusionieren, spekulieren, totsanieren. Optionen, Derivate, Zertifikate – mit allem wird gehandelt. Leergeschäfte, hochriskante Geldanlagen, Immobilienfonds – Kapitalismus, wie er im Lehrbuch steht: immer absurder, immer raffgieriger und immer globaler. Alles dreht sich nur noch ums Geld – um das, was man hat oder haben möchte. Wer Geld hat, hat die Macht. Bis die große Blase platzt ... Aber der rettende Staat hilft dem System aus der Patsche, denn ist es nicht sein System? Entweder hat er das Geld der Steuerzahler dafür, oder er lässt es drucken. Wer redet da von Korruption?

In der Kultur braucht man tagtäglich auch Geld, manchmal viel Geld. Der eine oder andere Sponsoring-Euro ist da schon geflossen. Verkaufen also auch wir unsere Seele, unsere Überzeugungen? Mir geht folgendes Bild nicht aus dem Kopf: Campino von den Toten Hosen auf der Bühne im Berliner Admiralspalast, Josef Ackermann von der Deutschen Bank als Hauptsponsor neben Wolfgang Schäuble im Publikum, und von der Bühne schallen die Textzeilen aus Brechts Dreigroschenoper: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?“ Das war vor zwei Jahren. Vielleicht sollten wir dem Haifisch öfter mal unsere Zähne zeigen...

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