Verstecktes Kleinod

Antje Mann, Holger Ramlow

Manchmal stellt sich ein Mitarbeiter vor einer Vernissage an die Straße und sagt den Runden drehenden Ausstellungsbesuchern, dass sich hier, ja, genau hier das Studio Bildende Kunst befindet. Zu ungewöhnlich und versteckt wirkt die alte Villa zwischen den Plattenbauten. Dort wo Lichtenberg an Friedrichshain grenzt, inmitten eines ausgedehnten Neubaugebietes steht das Haus im Art-deco-Stil und bildet gemeinsam mit der Mauritiuskirche einen wohltuenden Kontrast zur Umgebung. Die ehemalige Villa Skupin, einstmals im Besitz eines Fleischfabrikanten, steht für eine Tradition, welche bewahrt werden muss, sowohl in baulicher als auch in kultureller Hinsicht. Seit 1976 wird das Gebäude in der John-Sieg-Str. 13 von Kunstschaffenden genutzt. Eröffnet als Teil des Lichtenberger Kulturbundes, sollte das Studio Bildende Kunst die Bevölkerung für künstlerische Aktivitäten sensibilisieren - ein Anspruch, der heute noch genauso gilt.

Eigentlich wurde die damalige kommunale Einrichtung schon 1974 in der Frankfurter Allee 285 gegründet. Doch die Arbeits- und Ausstellungsmöglichkeiten dort waren so beengt, dass schon zwei Jahre später der Umzug in die deutlich repräsentativere Villa erfolgte. Dort entstanden eine Vielzahl Mal- und Zeichenzirkel, mehrere Kurse für Druckgrafik sowie Keramik und Töpferzirkel. Aus Privatbesitz wurde eine Litho-Presse beigesteuert, denn der Zulauf war groß, die finanziellen Mittel dagegen gering – auch das eine Parallele, die sich bis in die Gegenwart erstreckt. Nach einer Zwangspause 1979/80 wegen Sanierungsarbeiten am 1928 errichteten Haus fanden die Kurse weiter regen Zulauf, und auch die Ausstellungen (z.B. Hochdrucktechnik), Lesungen (u.a. Renate Holland-Moritz, Eva Strittmatter) und Feste wurden gut besucht. Besonders die Grafik war von Beginn an Schwerpunkt. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Haus für Kulturarbeit konnten berufsvorbereitende Intensivkurse absolviert werden. Auch dieser Tradition fühlt sich das Studio bis heute verpflichtet. Angehende Kunststudenten können sich durch die im Studio angebotenen Kurse für Druckgrafik, Radierungen und verschiedene Zeichenzirkel auf ihr Studium vorbereiten. Es spricht für die Qualität dieser Kurse, wenn ehemalige Teilnehmer heute ihre Ausstellungen in der alten Villa präsentieren, wie im Juli und August Maximilian Kirmse.

Dank dem oftmals freiwilligen Einsatz unzähliger Mitarbeiter konnte das Studio Bildende Kunst politische und finanzielle Krisensituationen überstehen. Auch die Wendezeit wurde gemeistert. Unterstützt durch das Bezirksamt belebte INVENTOR e.V., der Verein der Berliner Grafikfreunde, das Studio mit seinen Kursen und Angeboten. 12 Jahre später drohte wegen fehlender Haushaltsmittel die Schließung.

2004 wurde ein freier Träger als Betreiber des Hauses gesucht und mit dem Kulturring in Berlin e.V. gefunden. Damit konnte das traditionelle Angebot von Grafik-Galerie und -Werkstatt sowie verschiedenen künstlerischen Kursen fortgeführt werden. Das Repertoire wurde um kulturelle Veranstaltungen wie Buchlesungen, Hörspiel- und Musikabende sowie Vorträge zur Architekturgeschichte Berlins erweitert. In den Sommermonaten gibt es regelmäßig Open-Air-Veranstaltungen. Zum 30. Geburtstag des Studios 2006 wurde ein Puppentheaterfestival organisiert, das über die Bezirksgrenzen hinaus auf Besucherinteresse stieß. Im Mai 2007 gab es einen Trödelmarkt unter dem Motto „Kunst und Kitsch“ mit vielen Lichtenberger Künstlern. Im Juni 2007 folgte ein Japan-Sommerfest, das die japanische Kunst und Kultur den Lichtenbergern näher brachte. Vertreter der renommierten japanischen Künstlergruppe „A 21“ kamen dann im März 2008 aus Osaka nach Berlin und stellten auf Einladung des Kulturrings im Studio Bildende Kunst und weiteren Einrichtungen der Hauptstadt ihre mit großem Aufwand nach Deutschland transportierten Kunstwerke aus.

Mit seinem Ausstellungskonzept im Studio knüpft der Kulturring an bewährte Traditionen des Hauses an, hat jedoch eigene Akzente hinzugefügt. Seit 2006 gibt es eine Kooperation mit der bundesweit agierenden Griffelkunst Vereinigung Hamburg e.V., die halbjährlich das Studio für Ausstellungen und Mitgliedertreffen nutzt. Neben den regelmäßigen Vorträgen, musikalischen und literarischen Veranstaltungen sowie mittlerweile 10 Kursangeboten pro Woche wird ca. alle 6 Wochen eine neue Grafikausstellung präsentiert. Der Kulturring hat bisher weder personelle noch finanzielle Aufwendungen gescheut, um das Haus in seiner Attraktivität, seiner Ausstrahlung und seiner Funktionalität zu bewahren. Doch ein freier Träger hat kaum Möglichkeiten, eine denkmalgeschützte Immobilie mit einem Sanierungsbedarf in Millionenhöhe zu erhalten. Das Bezirksamt Lichtenberg als Eigentümer hat sich auf Grund der angespannten Haushaltslage zur Übergabe des Hauses an den Liegenschaftsfonds entschlossen. Der Kulturring bleibt weiterhin Mieter und Betreiber des Studios. Solange sich kein Interessent für den Kauf der Immobilie findet, wird sich an dieser Situation auch nichts ändern.

Die Erfolge des Studios trotz schwieriger Entwicklungsbedingungen sind unbestritten, die Mitarbeiter des Hauses ruhen sich indes nicht auf dem Erreichten aus, sie sind ideenreich beim Initiieren neuer Projekte. So fungierte das Studio Bildende Kunst bei der ersten Langen Nacht der Bilder im Sommer 2008 als Dreh- und Angelpunkt für die Planung und Koordinierung dieser bezirksweiten Aktion. Deshalb bleibt zu hoffen, dass Besucher auch weiterhin nach einer gelungenen Veranstaltung beim Verlassen des Hauses sich nochmals umdrehen, um einen letzten Blick zu werfen oder ein Foto zu machen von der schwer zu findenden, jedoch beeindruckenden Villa mit dem besonderen Flair.

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