Lange Nacht der Bilder: ein Erlebnisbericht

Jochen Uhländer

Jugendkunstschule Hohenschönhausen: Lichtenbergs Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich eröffnete das Kunstereignis und forderte das Publikum zum Ausschwärmen auf, um 28 Galerien, Ateliers und Kunstorte in dieser Nacht aufzusuchen. Indes: „alles in einer Nacht“ – wie soll das funktionieren? Wenig weiter in der Kirche zu Wartenberg erlebte ich dann das Gefühl, Teil von etwas ganz Besonderem zu sein. Der moderne und hohe, helle Kirchenraum gab den Bildern von Hannelore Schönberg Freiheit zur Entfaltung, eine kluge Hängung ließ die Farben von Bildern und Fenstern, die Formen der Orgelpfeifen und Pinselstriche untereinander und mit dem Besucher ins Gespräch kommen. Ganz anders und doch genauso die nächste Station, die „Galerie im Gericht“ im Amtsgericht Hohenschönhausen. An den Wänden, abstrakt und unverständlich wie manche Rechtsprechung, Bilder und Collagen von Marianne Bellenhaus. Diese Kunst zeigt Brüche und Kanten und lässt doch das harmonische Ganze finden. Vor dem „Schloss Hohenschönhausen“ treffe ich ein junges Paar auf der Suche nach dem Besonderen in Lichtenberg. Ein Schloss gab es nicht zu sehen. Im Erdgeschoss des früheren Gutshauses allerdings die vergilbten Wände und Fliesen der ehemaligen Entbindungsklinik mit den Fotografien von Luise Wagener - auf hellem Grund Ausschnitte alltäglicher Gegenstände. Erinnerungen an „verranzte“ Schultoiletten steigen auf. Unterm Dach abstrakte Landschaftsmalerei vom Künstlerpaar Wagener&Wagener, feine schwarze Linien wachsen förmlich aus den Bildern, vereinigen sich mit dem Stroh der kaputten Wand und wandeln das Gebälk in Wald. Mitten im Bezirk und doch abgelegen meine nächste Station, das „Museum Kesselhaus“. Hier treffe ich das junge Paar wieder, und mit dem herrschaftlichen Backsteinensemble des ev. Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge hatten sie endlich ihr Schloss gefunden. Im Museum, dem ehemaligen Heizkraftwerk, die junge Medienkünstlerin Anika Hoff, unzufrieden mit der Präsentation. Ihre ursprünglich für ein weißes Zelt gedachte Videoinstallation war platziert in dunklen Katakomben. Hinter verwinkelten, rostigen Rohren im niedrigen Backsteinkeller flimmerten Farbschlieren über eine Leinwand und verströmten eine psychedelische Aura. Am Bahnhof Lichtenberg fiel der Schatten der untergehenden Sonne auf die Hütten und Felder des Nicaragua-Wandbildes und bedeckte die dargestellten Gräuel des Terrors mit sanftem Abendlicht. Dieses Gemälde ist immer zugänglich, und doch habe ich es an diesem Abend zum ersten Mal richtig gesehen. Dieses Bild ist es wert, die Hast des Alltags zu unterbrechen. Die Galerie theARTer lockte mit Aktmalerei, kräftige, schreiende Acrylgemälde von Senrek vor weißen Wänden, stimmungsvoll mit Kerzen erleuchtet. Eine Besucherin ist bei selbstgemachtem Speis und Trank in ein anregendes Gespräch über Kunstvermittlung vertieft. Nur die späte Stunde ließ mich weiterziehen zu den BLO-Ateliers am Bahnhof Nöldnerplatz. In einer ehemaligen Kantine erlebte ich Erwachsene und Kinder beim Linolschnitt. Im Stadthaus dann hatte Luc Wolff die Atelierräume mit scheinbar leerem, großformatigem Büttenpapier ausgelegt. Ein Begleittext lag aus (schnöde ignoriert von einem darüber tapsenden Hund). Trotz Mitternacht pulsierte in den Galerien in der Victoriastadt noch das Leben, im canteatro/kunst.keller im Wiesenweg waren Partys im Gange, während im Studio Bildende Kunst der Bildermarkt schon abgeräumt war und ein Labyrinth aus Kerzen flackernd auf die Dämmerung wartete. So viel wurde gesehen, und so viel blieb unentdeckt: diese Lange Nacht in Lichtenberg war viel zu kurz!

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