Zeit für Kunst – 30 Jahre MAL-HEURE

Renee Kunz / Ulrich Pinkert

Auf dem Blatt entsteht mit wenigen Bleistiftstrichen eine Parklandschaft. Dicke Baumstämme mit ausladenden Kronen, Büsche, Rasen sind angedeutet. Jetzt holt die Frau auf der Bank einen kleinen Aquarellkasten und andere Malutensilien heraus. Man kann sehen, wie sich unter dem blauen Himmel, in verschiedenen Farbtönen, die Landschaft hervorschält. Licht und Schatten, Bewegung und Ruhe, Farben, die man in der Natur gar nicht vermuten würde. So ist ein kleines Kunstwerk entstanden. Auf und um den kleinen Bunkerberg im Friedrichshain sitzen und stehen noch mehrere mit der gleichen Beschäftigung. Die Malgruppe des Kunstvereins MAL-HEURE e.V. hat gerade Park und Bäume im Programm. So haben sie in Venedig und Paris, auf Hiddensee oder hier im Park gesessen, Städte, Dörfer, Landschaften gemalt, gezeichnet oder anders künstlerisch verarbeitet. Einige der Malenden tun das seit dreißig Jahren zusammen. Eine lange Zeit.

Im Rahmen des „Bitterfelder Wegs“ entstanden in den 1970er Jahren in allen größeren Betrieben Gruppen zur künstlerischen Betätigung. Malen/Zeichnen, Keramik, Schreiben (Schreibende Arbeiter), Theater und Anderes wurden angeboten. In der Tradition des Bauhauses sollten Werktätige künstlerisch ausgebildet werden. So wurde auch MAL-HEURE am 28. Mai 1978 im Institut für Nachrichtentechnik Berlin als Mal-und Zeichenzirkel gegründet. Der vom Verband Bildender Künstler empfohlene Maler Michael Ihrke wirkte bis 1997 als Leiter und Lehrer der Gruppe. Im stetigen Dialog mit der Realität wurden in der Freizeit künstlerische Fähigkeiten aus- und weitergebildet. Verschiedene Zeichen- und Drucktechniken bildeten dabei die Grundlage. All das Wissen über Perspektive, goldener Schnitt, Farbanlegung veredelte die künstlerischen Ambitionen der Mitglieder. Viele der entstandenen Arbeiten können es mit denen Professioneller durchaus aufnehmen. Mit dem Ende der DDR kam auch das Ende der Betriebskunstzirkel. MAL-HEURE war eine der wenigen künstlerisch tätigen Gruppen von ursprünglich 335 aus dem Ostteil Berlins, die unbeschadet weiterlebte und bis heute künstlerisch produziert. In den 1990er Jahren wurde beschlossen, sich besonders der Jugend zu widmen. Aus dem Vorschlag eines Jugendrichters entstand 1995 eine Arbeitsgruppe zur Betreuung straffällig gewordener Jugendlicher. Meist waren es Sprayer, die hier als Strafersatz gemeinnützige Arbeit leisten sollten. Auch nach ihrer „Strafe“ blieben einige mit dem Verein verbunden oder wurden sogar Mitglied. Sie führten und führen noch immer für Vereine oder Private Graffiti-Auftragsarbeiten aus und beleben Veranstaltungen mit ihren Live-Auftritten. Inzwischen hat sich das „Starthilfe“ genannte Projekt ziemlich ausgeweitet. 2500 bis 6000 Stunden Betreuungsarbeit pro Jahr leisten die bei MAL-HEURE angestellten Sozialpädagogen.Die Gerichte der Berliner Bezirke schätzen die Qualität und Zuverlässigkeit der Betreuung. Jetzt feiert MAL-HEURE seinen Dreißigsten. Höhepunkt wird der öffentliche Geburtstagsempfang „Zeit für Kunst - 30 Jahre MAL-HEURE“ am 6. 9. in der „Alten Feuerwache“ in Friedrichshain sein.

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