Portrait über eine Porträtzeichnerin

Anna Appel

Die Idee, über Tatjana Kan zu schreiben, ist mir nach der kleinen Ausstellung „Blumen, Pflanzen, Ornamente“ im Salon des Studios Bildende Kunst gekommen. Frau Kan ist Leiterin eines Mal- und Zeichenkurses des Kulturrings, der dreimal in der Woche im Atelier des Studios stattfindet. Bei der Ausstellungseröffnung bewunderte ich die fröhlichen Bilder mit den bunten, frischen Farben. An einer Wand hingen die Werke der Schüler, an der anderen die ihrer Lehrerin. Der jüngste Schüler ist 5, die älteste 72. Frau Kan erzählte über die Kunstwerke, über das neue Verfahren, mit Walzen zu arbeiten. Anschließend wurden die Gäste zum Workshop eingeladen. Nach einigen Tagen interviewe ich Tatjana Kan kurz vor ihrem Unterricht. Auf meine Frage, ob ich hospitieren darf, bekomme ich eine Absage. Die Kinder sind sogar dagegen, dass ihre Eltern dabei sind. Es ist alles fertig: Alle notwendigen Utensilien und Bücher sind zurechtgelegt, eine frische Blume in der Vase, daneben Gegenstände. „Heute malen wir Stillleben“, sagt Tatjana. Sie kocht Teewasser und stellt einen Teller mit selbstgebackenem Quarkgebäck auf den Tisch. Sie ist Künstlerin und alles, was sich in ihrer Umgebung befindet, spricht davon. Frau Kan ist Diplom-Architektin, Graphikerin, Zeichenlehrerin. Geboren in Karaganda (Kasachstan), studierte sie an der Hochschule für Architektur in St. Petersburg und Ust-Kamenogorsk. Bereits in ihren jungen Jahren, „seit der Schulbank“ (wie sie sagt), hat sie sich viel und gern mit Kindern und Zeichnen beschäftigt. Dabei ging es ihr hauptsächlich darum, bei Kindern eine besondere, sensible Einstellung zur Natur und zur Welt zu entwickeln. Bis heute ist es das zentrale Thema ihrer pädagogischen Arbeit geblieben. Ihre eigenen Kinder brachten ständig ihre Freunde und Kumpels nach Hause. Mit Begeisterung wurde gemalt und gezeichnet. Gemeinsame Spaziergänge führten in Parks und Gärten.

Seit 2005 bringen die Eltern ihre Sprösslinge zu Frau Kan ins Studio Bildende Kunst. Unter ihrer Anleitung machen die Kinder erste Schritte in ihrem künstlerischen Tun. Jeder Schüler, ob jung oder alt, bedarf eines individuellen Herangehens, da jeder verschiedene Vorraussetzungen und Fertigkeiten mitbringt. Daraus ergibt sich die Vielfältigkeit der Methoden und Themen der Zeichenlehrerin: Naturstudien, Stillleben, Porträts, Arbeiten mit Papier. Ständig wird Neues erprobt und ausgestellt. Sehr beliebt in allen Altersgruppen ist Origami – die japanische Kunst des Papierfaltens. Tatjana Kan ist stets auf Achse. Sie besucht einen Englischkurs, bildet sich in Aktmalen weiter, stellt neue Arbeiten in verschiedenen Einrichtungen aus, fotografiert, zeichnet Porträts ihrer Kollegen. Sie schafft alles, ohne dabei ihre Ruhe und Ausdauer zu verlieren. Seit 1987 lebt sie in Lichtenberg. Hier besuchten ihre beiden Kinder den Kindergarten, danach Grundschule und Gymnasium. Vor 18 Jahren pflanzte sie zwei kleine Kiefern und eine Fichte im Vorgarten ihres Mietshauses. Heute blickt sie aus ihrem Fenster darauf. Sie möchte auf keinen Fall umziehen, denn es würde ihr sehr schwer fallen, die Bäume zu verlassen.

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